17. Juli 2004

Willkommen im Club!

 

Aufnahmebedingungen unbekannt.

 

„Kultur ist zur Zauberformel unserer Gegenwart geworden“, heißt es im Vorwort des Suhrkamp-Readers „Culture Club“. Und da sich Zauberei durch Geheimwissen oder Tricks auszeichnet, wundert es nicht, dass der Begriff „Kultur“ auch nach der Lektüre vage bleibt. Ein wenig Aufklärung über die Tricks hätte man sich von den Autoren aber dann doch gewünscht. Denn so anspruchsvoll und erhellend die einzelnen Theoriedarstellungen auch sind, im Ganzen gesehen wirken sie unzusammenhängend und beliebig.

 

Leider gehört es wohl zum gegenwärtigen universitären Betrieb, dem Denken bloß nicht zu viel Freiraum zu lassen, vor allem aber sich vor jeglicher Angreifbarkeit schon vorab zu schützen. Solcherlei lähmende Selbstreflexion entsteht fast zwangsläufig, wenn großspurig von „grenzüberschreitenden Denkversuchen“, „kulturellen Erscheinungsformen im Plural“, „Heterogenität und Ambiguität“ in methodischer und analytischer Hinsicht gesprochen wird. Die Herausgeber wehren sich denn auch selbstverständlich gegen den Verdacht, sie wollten kanonisieren. Aber das ist nun einmal unweigerlich der Fall, wenn man Listen aufstellt und von Klassikern spricht.

 

Sieht man sich das Inhaltsverzeichnis an, tauchen folgende Namen auf: Sigmund Freud, Georg Simmel, Robert Ezra Park, Ernst Cassirer, Walter Benjamin, Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Georges Bataille, Jacques Lacan, Michel Foucault, Niklas Luhmann, Pierre Bourdieu, Marshall D. Sahlins, John Fiske, Bruno Latour, Judith Butler.

 

Die Zauberformel, die dem Band „Culture Club“ zugrunde liegt, ist dann auch nicht mehr schwer auszumachen. Zumal, wenn man sich den Anlass (60. Geburtstag von Wolfgang Essbach, Professor für Kultursoziologie in Freiburg) und die meist soziologische Herkunft der Verfasser vergegenwärtigt.

 

Eine erfrischende Ausnahme stellt dagegen gleich zu Beginn Klaus Theweleits Artikel zu Sigmund Freud dar. In „Wege zur Traumdeutung“ wird ein Bild von Freud gezeichnet, das selbst vielen Freud-Kennern neu sein wird. Denn Freuds Hybris mit Elvis zu erklären, das fällt dann doch nur jemandem ein, der sich mit Männerfantasien auskennt wie kein anderer. Und so erfährt man von Freuds Kokain-Selbstversuchen, von seinem lang durchgehaltenen Glauben, dass hysterische Phänomene organischen Ursprungs sind, und von der Gleichzeitigkeit ganz verschiedener Konzepte in Freuds Hirn. Wie nebenbei aber auch alles Notwendige zum Verständnis psychoanalytischer Begrifflichkeiten und Denkweisen.

 

Nur hätte dieser geistreiche Text auch in jeder anderen Textsammlung untergebracht werden können. Deshalb sei wenigstens noch einer der Beiträge erwähnt, der explizit "Kultur" behandelt und zugleich deren Grenze aufzeigt. Karsten Kumoll und Hermann Schwengel weisen in „Kultur, Geschichte und die Indigenisierung der Moderne“ auf die Gefahr hin, die Konzepten von Clifford Geertz oder Marshall D. Sahlins innewohnen, indem sie Kultur überbewerten. Kultur ist auch für sie ohne Zweifel eine anthropologische Grundkonstante menschlicher Existenz. Doch geraten durch die Fokussierung auf Kultur „andere wichtige Elemente sozialer Organisation wie Konflikte, Macht oder voluntaristische Elemente sozialen Handelns aus dem Blickfeld der Theoriebildung.“

 

Da der Textband "Culture Club" als Ganzer vor jeglicher Defintion von "Kultur" zurückschreckt, entgeht er solcher Kritik ganz automatisch. Für ein genaueres Verständnis der Bedeutung des Kulturbegriffs ist zugebenermaßen eine Kenntnis seiner pluralen Traditionslinien von entscheidender Bedeutung. Eine Orientierung, wie die Herausgeber versprechen, kommt durch einen bloßen und dazu mutlosen Überblick aber kaum zustande.

 

Gustav Mechlenburg

 

Hg. Martin Ludwig Hofmann, Tobias F. Korta und Sibylle Niekisch: Culture Club. Klassiker der Kulturtheorie, Suhrkamp 2004

 

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