17. Juli 2004

Wie ein Kater nach dem Fest

 

Schülertheater leiden häufig unter schweren Bedingungen. Die Aula steht erst nach dem Sportunterricht zur Verfügung. Die Texte müssen auf das jeweilige Alter zugeschnitten werden. Und dann gibt es noch ganz unprofessionelle Tränen und Selbstdarstellungen. Dass es den Profis nicht anders geht, zeigt auf groteske Weise Heinz Rudolf Kunzes Libretto zum Musical "Ein Sommernachtstraum", dessen Text jetzt im Satzwerk Verlag erschienen ist. Kunzes "pfiffige" Neuübersetzung von Shakespeares Megahit entstand unter schwierigen Produktionsbedingungen, wie man aus dem angefügten Interview erfährt. Die Co-Produktion der Landesbühne Hannover der Festwochen Herrenhausen gab einen engen Zeitrahmen vor: zwei Stunden plus Pause. "Zu einer bestimmten Uhrzeit geht im Park die Illumination an, dann gibt es da Wasserspiele, weit entfernt im Park läuft noch andere Musik, und wenn das in unser Finale hineingrätscht, wäre das nicht so schön." Wobei man zugeben muss, dass das rabiate Kürzen Kunze noch am besten gelungen ist.

Man mag von Heinz Rudolf Kunze halten, was man will. Selbst in seinen kitschigsten Songs ist ihm ausgeprägte Sprachgewandtheit nicht abzusprechen. Zu Zeiten wirken seine Verse vielleicht so, als würde der Barde um alles in der Welt lieber reimen als fressen, interessant ist seine Montagetechnik aber allemal. Kunze wäre also nicht die schlechteste Adresse, wenn es gilt, Shakespeares "Sommernachtstraum" in einem "neuen Tonfall" und mit "anderem Grundgefühl" zur Aufführung zu bringen, wie ihn der Regisseur Gerhard Weber gebeten hat. Nicht allein also geschicktes Marketing war der Grund für die Beauftragung des bekannten "Oberlehrers der Nation", sondern dessen Routine. Zu vier Musicals hat Kunze bereits Libretti geschrieben und dabei Originale frei übersetzt. So zu "Les Misérables", "Miss Saigon", "Rent" und "Joseph". Für letzteres erhielt er sogar den höchsten Preis der Deutschen Musicalindustrie.

Musicals haftet ein unintellektueller Ruf an. Und auch Kunzes "Ein Sommernachtstraum" fährt rein auf der Fun-Schiene. "Scher dich nicht drum, mach das in deinen eigenen Worten, erzähl ungefähr, was Shakespeare gedacht hat. Mach bloß keine reine Übersetzung, sondern nimm Kalauer von heute, die die Leute nachvollziehen können", war Webers Vorgabe für die Arbeit am Text. Das passte dem Autor gut in den Kram. Viele Aufführungen, wie beispielsweise die des Hamburger Schauspielhauses mit Peter Lohmeyer als Oberon, empfand Kunze als zu düster. "Gerade den Schluss wollte ich ein bisschen netter haben - für die ganze Familie." Und auch für zeitgemäße Kalauer war der Librettist zu haben. "Ich glaube, dass der Zugewinn, der sich durch aktuelle Anspielungen ergibt und das Lachen der Leute darüber, größer ist als ein Schielen nach Dauer. In unserer schnelllebigen Zeit auf eine zeitlose Version zu setzen, ist sicher der falsche Weg. Wer weiß, ob es in zehn Jahren überhaupt noch Theater gibt." Das Genie Kunze wird es dann gewiss noch geben und deshalb hier ein kurzer Auszug aus seinem Text:

"Theseus: Hippolyta, ich kann es kaum erwarten.

Die Stunde unserer Hochzeit naht so langsam!

Der Mond nimmt ab, doch wie im Schneckentempo.

Er bummelt. Lässt mich glatt nach dir verschmachten,

so wie ein Erbe, dem das reich Versprochne,

zum Greifen nah, verwehrt bleibt, bis die Alten

geruhen, ihre Löffel abzugeben.

Lauf, Stratocast,

das Partyvolk Athens soll sich versammeln,

schaffe gute Laune her! Die Depressiven

schick geradewegs zum Friedhof, nicht zu uns.

Fun ist hier angesagt, und Jammer

wird nur als Kater nach dem Fest geduldet."

 

Wer das witzig findet, mag gerne weiterlesen. Zumal man zwischendurch auch auf F. W. Bernsteins gelungene Illustrationen stößt. Vielleicht hätte Kunze aber doch einmal das Begleitheft zu Erich Frieds Shakespeare-Übersetzung zur Hand nehmen sollen, um zu verstehen, wie das Stück auch verstanden werden kann. "Komplexer als je zuvor baut Shakespeare hier eine Versuchsanordnung auf, die die Geltung von Werten und den Zusammenhalt menschlicher Ordnung auf die Probe stellt. Das Ausbrechen untergründiger, naturgesteuerter Leidenschaften spricht den Moralvereinbarungen, den Versprechungen und Verabredungen der menschlichen Gesellschaft insgesamt Hohn. Auch hier wieder der Hintergrund der Ängste des elisabethanischen Menschen, der sich bei Anbruch der Neuzeit mit zunehmender Freiheit in seiner Willens- und Vernunftbegründung undurchsichtig und unergründlich wird und sich das vorerst nicht anders erklären kann, als dass er dem Walten unsichtbarer Mächte ausgesetzt ist. Diese werden im Stück komisch, aber nicht ohne Pessimismus, sichtbar gemacht. Im Sommernachtstraum wird besonders deutlich, wie bei Shakespeare die Komödie als eine Art öffentlicher Angstbewältigung konzipiert ist. Vor allem aber ist das Stück eine Feier der Kunst des Dramatikers, die allein das Widerstrebende noch zusammenhalten kann."

Kunzes "Sommernachtstraum" ist dagegen ein heilloser Mischmasch. Die hemdsärmeligen Realschulreimchen für schenkelklopfende selbsternannte Neunmalschlaue sind gewiss als Vorlage für Schultheater unterer Stufen zu gebrauchen, mit Shakespeare haben sie aber genauso wenig zu tun wie mit Wolfgang Neuss, den Kunze als Vorbild anführt.

Ab August dieses Jahres beginnt die Open-Air-Tour. Den Soundtrack gibt´s natürlich auch auf CD und als Liederbuch. Alle Songs, alle Noten für Gesang, Klavier und Gitarre. Und selbstverständlich darf auch Kunzes Hit "Dein ist mein ganzes Herz" nicht fehlen.

 

Gustav Mechlenburg

 

Heinz Rudolf Kunze: Ein Sommernachtstraum. Ein Musical nach William Shakespeare. Satzwerk Verlag, Göttingen 2004. 154 Seiten, 20,00 EUR. ISBN 3930333481