19. Juni 2004

Männerfantasien

 

Wer ficken will, muss freundlich sein. Nein, darum geht es nicht. Wer sich rar macht, steigt im wert. Nein. Was weg ist, ist weg! Ja, so kann man das sagen. Und man kann das natürlich noch viel besser zum Ausdruck bringen, wenn man die Abwesenheit durch einen Tauchunfall zum Grund sinken lässt, so á la Rausch der Tiefe und hast du nicht gesehen. Die Frau, die da ertrinkt, ist schon lange vorher weg. Was aber erst mit ihrem Tod klar wird, ist, dass der Freund auch weg ist. Ja, Kapitän Nemo, der depressive U-Bootfahrer in kalter Dunkelheit, der auch keine Freunde und schon gar keine Freundin mehr hat, sondern nur noch Gefährten. Wenn so ein Gefährte einfach nicht mehr einzuschätzen ist, sein Verhalten befremdlich und auch mit Bier nicht zu harmonisieren, bekommt man es natürlich mit der Angst zu tun, oder mit der Verzweiflung, das ist wohl eine Sommerstarre. Flott assoziiert sich Winterschlaf, Kältetod, starr vor Angst und Schreck und Erkennen der Belanglosigkeit des eigenen Lebens. Man ist fortan weder in der Lage, den richtigen Songtext zur passenden Illumination zum Besten zu geben, noch mit Haltung einen Puff zu verlassen.

 

Jens ist Journalist bei den Regionalseiten des Kurpfalz-Boten aus Mannheim. Er hat seinen Traum erreicht, vom Schreiben leben zu können. Damit hat es sich aber auch schon. Aus Werbefaxen destilliert er öde Zeitungsartikel. Und abends geht er heim, sieht Fernsehen und wichst. Immerhin, noch kann er „mit einer 20-Jährigen knutschen, ohne dass jemand komisch guckt.“

 

Dass Popromane mit Faxen beginnen können, hatten wir bereits. Hier ist es eine Mail, die Jens aus seinem Alltag reißt. Ein länger verschollener Jungendfreund teilt ihm den Tod seiner einstigen großen Liebe mit. Da kommt Jens ins Grübeln über Vergangenes. Er erinnert sich, wie Janine und er zusammen nach Berlin zogen, eine kleine Meinungsverschiedenheit sie auseinander brachte und er sie später mit seinem Freund Anders im Kaffee Burger Hand in Hand erwischte. Für die Germanisten-Abteilung hält Neumeyer an dieser Stelle auch gleich ein kleines Ratespiel bereit. Denn Wladimir Kaminer wird nicht namentlich erwähnt, sondern geschickt umschrieben: „Ein zumindest in Deutschland recht populärer russischer Schriftsteller legte auf.“ Und noch etwas für die Literaturkritik: „Ich erwachte aus unruhigen Träumen mit dem dringenden Bedürfnis, mich in einen Käfer zu verwandeln, wahlweise: zu kotzen.“ Früher sahen Popromane anders aus.

 

Um den Tod ihrer Freundin zu verarbeiten, reisen Anders und Jens gemeinsam an den Unfallort nach Sizilien. Zufällig begegnen sie auf der Reise ehemaligen Mitschülern. Da es sich bei denen selbstverständlich um Spießer handelt, fühlen die beiden Freunde sich wieder vereint. „Gemeinsam etwas scheiße zu finden, verbindet ja auch.“ Wer so schlau ist wie die beiden, der hat natürlich auch gleich eine soziologische Verallgemeinerung parat. „Wir fühlen uns abgeklärt, sind nicht aus der Reserve zu locken – aber ohne Ziel oder auch nur Orientierung, unfähig, Entscheidungen zu treffen. Erst mal so tun, als ob. Darin sind wir Meister, Wir, die ‚Generation als ob’.“

 

Dass es mit derlei Gefasel dann doch mehr Bewandtnis hat, wird deutlich, als Anders bei einem Spaziergang aus einer Laune heraus einen Hund erschießt. Woher und wozu er eine Pistole besitzt, erfährt man nicht. Aber das Potenzial zum Wahnsinn lässt sich kaum einfacher ins Spiel bringen. Auch gegenüber dem Tauchlehrer rastet Anders aus, den er für den Tod von Janine verantwortlich macht, und verschwindet anschließend spurlos.

 

Später erfährt Jens, dass eine deutsche Tauchgruppe in Sizilien verunglückt ist. Der zuvor beschriebene Kontrollverlust des Freundes suggeriert, dass dieser seinen Anteil daran hat. Für einen gelungenen Schluss muss es freilich noch einen Toten geben, diesmal ist es der sympathische Redakteur Schlonsok, der allerdings mit der Geschichte gar nichts zu tun hat und deshalb auch von Mutter Natur zur Strecke gebracht wird.

 

Eine Frau stirbt und zwei Gefährten entfremden sich vollends, wo sie doch sowieso schon zwei Jahre keinen Kontakt mehr hatten, das ist für echte Männer natürlich keine Zeit. Gefährtentum ist bekanntlich ohne Raum und Zeit, und eine präpotente Zumutung für alle, die auch nur mit einem Hauch von Ironie durchs harte, entfremdete Leben kommen. Hier also besonders hart unironisch, entsetzlich aufklärerisch und verständlich auch für Leser, die nicht wissen, welche Menschen im Kaffee Burger die Musik auflegen.

 

Gustav Mechlenburg

 

Jochen Neumeyer: "Sommerstarre". Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a. M. 2004, 6,50 Euro

 

Vgl. taz Magazin Nr. 7387 vom 19.6.2004, Seite VI, 94 Zeilen (Kommentar)

 

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