15. Juni 2004

Frühwarnung

 

Sherron Watkins hat ein Imageproblem. Ohne Zeugen würde der frühere Enron-Finanzboss Andrew Fastow die Frau als Verräterin oder gar Schlimmeres bezeichnen. Schließlich haben Watkins’ Enthüllungen dafür gesorgt, dass er seinen bequemen Chefsessel räumen und demnächst eine Gefängniszelle beziehen muss.

 

Ist die Frau, die einen der größten Wirtschaftsskandale der USA ins Rollen brachte, also eine Profilneurotikerin? Nein, eine Heldin, sagen Corporate-Governance-Advokaten. Für Whistleblower - also Mitarbeiter, die illegale Machenschaften ihrer Unternehmer öffentlich machen - gibt es viele Namen.

 

Klaus Leisinger geht es nicht um die passende Namenswahl. Der Entwicklungssoziologe analysiert in seinem Buch "Whistleblowing und Corporate Reputation Management" jene Prozesse, die in Unternehmen oder Organisationen dazu führen, dass jemand zur Pfeife greift und Alarm schlägt. Damit liefert Leisinger nicht nur Nutzwert, sondern trägt die Diskussion auch einen wichtigen Schritt weiter: Können Whistleblower bei einem konstruktiven Dissensmanagement nicht sogar nützlich für ein Unternehmen sein? Sind moralisch sensibilisierte Mitarbeiter nicht wichtiges Glaubwürdigkeitskapital? Müssen sie deshalb nicht gehegt statt verstoßen werden?

 

Fragen, die Leisinger allesamt mit Ja beantwortet. Weshalb er reichlich Vorschläge zum angemessenen Umgang mit Whistleblowern präsentiert. Die beruhen überwiegend auf dem Ideal einer moralisch reflektierten Unternehmenskultur, die potenziellen Mahnern schon vorab den Wind aus der Pfeife nimmt und einer durchlässigen, egalitären Struktur, die in der Lage ist, dennoch auftauchende Alarmrufe aufzufangen und gewinnbringend zu verarbeiten.

 

Für (Unternehmens-)Kulturpessimisten haben solche Szenarien wenig mit der gegenwärtigen Realität zu tun. Doch wie die freiwillige Umsetzung des Corporate-Governance-Kodex zeigt, muss Leisingers appellative Arbeit keineswegs das Handbuch für ein Wirtschaftsmorgen sein, das nie kommt. Der Band zeigt nicht nur im Titel, sondern auch an konkreten Beispielen, dass sich der Ruf eines Unternehmens, seine Corporate Reputation, tatsächlich managen lässt. Wie das im Einzelfall geschehen kann, dazu liefert Leisingers Buch einen wichtigen Beitrag.

 

Gregor Kessler

© 2004 Financial Times Deutschland

 

Klaus M. Leisinger: Whistleblowing und Corporate Reputation Management, Rainer Hampp Verlag, 299 S., 29,80 Euro, ISBN 3879887314

 

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