23. April 2004

Das Alpha in der Heimatschutzarchitektur

 

Kunststätte Johann und Jutta Bossard.

(Jesteburg)

 

Von Nora Sdun

 

Irgendwie hinter Harburg in der Nordheide liegt Jesteburg. Man kann mit dem Bus hinfahren, und dort im Wald auf 30.000 Quadratmetern hockt ein Gesamtkunstwerk – die Kunststätte Bossard.

 

Was sind das für Menschen, die bei völliger Geistesklarheit ein Heidegrundstück mit ihren eigenen Werken überkrusten, und dort auch leben können?

Es gibt von der Jahrhundertwende 1890–1910 bis in die 50er Jahre einige solcher Lebensentwürfe, man kann fast behaupten, ein Künstler, der etwas auf sich hält, verbrät seine Energien vorzugsweise in ein hochgradig privatistisches, gleichzeitig aber pädagogisch utopisches Großprojekt. Hans Henny Jahnn hat es versucht, Wenzel Hablik hat es in kleinerem Maßstab getan (zu betrachten in Itzehoe), auch die Worpsweder Künstler liebäugelten mit dem Gedanken, ihre elitäre Landleben-Allüre zum universellen Lebensbejahungsprojekt auszuloben.

 

Die Geschlossenheit ist das Befremdliche an solchen Konzeptionen. Steht man auf dem Gelände einer solchen Idee, z. B. bei den Bossards, fühlt man sich eigenartig bedrängt von der Ideologie, die in jedem Findling, der seinen esoterisch unausweichlichen Platz hat, implantiert ist. Skeptikern rate ich deshalb dringend, die Plätze in Haus und Garten der Kunststätte Bossard erst einmal umzubenennen. Die usurpatorische Geste, mit der eine Baumgruppe „Baumtempel“ genannt wird, ist ja nichts weiter als eine ideologische Falle. Man kann also durch probeweises Zergliedern in einzelne Bestandteile das Gesamtkunstwerk erträglich machen, indem man seine Totalität leugnet. Später, fasziniert von der persönlichen „Verstrahlung“ des Ehepaars Bossard, wird man das allumspannend synästhetische Netz doch zusammenzuziehen, mit allen Peinlichkeiten, die das bergen mag.

 

Zum Beispiel der Obstbaumgarten: In einer Senke, die durch den Bau des Hauses entstand, nun Äpfel produzierend für die Künstler, die, wo sie ein Loch machen, gleich wieder „Sinn“ reinstopfen und rausholen, einmal natürlich als Nahrung, dann aber auch metaphorisch, christologisch, mytisch, synkretistisch, und der Augapfel, den man hütet, das Lebenswerk, das Gelände, das man bestellt und überschaut, die Apfelbäume, die nun die Höhle füllen, war für Johann Michael Bossard (1874–1950) ein schmerzlich unausweichliches Thema, denn er erblindete im Kindesalter auf dem rechten Auge, später trug er in dem Loch ein Glasauge und identifizierte sich zwanglos mit Odin, dem einäugigen Götterkönig.

 

Die Gebäude sind überzogen mit Produkten eines unablässigen Gestaltungsdrangs. Die Materialien sind oft sperrig und verwunderlich ungeeignet. Der Backsteinexpressionismus mit düsterem Klinker dritter Wahl ist fleischig, lavaartig. Die blauen keramischen Zierelemente der Außenwände stehen heftig ab vom braunvioletten Quillen der Ziegel.

Und erst im Haus. Was als Atelier geplant war, wächst sich aus zum „Eddasaal“ und auf einen vereinzelten Gedanken wird man dort nie wieder kommen, geschweige denn zu einem einzelnen Bild, über Decken Wände und Fenster wälzen sich die Götter in unaufhörlichem Schieben und Scheuern.

 

Das riesige fichtengepflanzte Omega, was Fitnessbegeisterte heutzutage als veritable Rennstrecke für einen gelungenen Tagesausklang nutzen würden, findet, obwohl Aufgang und Untergang allgemeines Fließen und Bewegen aller Dinge für die Bossards bestimmendes Thema war, keine Alpha-Entsprechung auf dem Gelände. Kunsthistoriker flitzen um Häuser und Schuppen, durch Klostergarten und an Skulpturenreihen entlang und finden kein Alpha. Vielleicht sollte man, sich in die großspurige gottgleich angemaßte Konzeption eines „echten“ Gesamtkunstwerkes einfühlend, einfach den Künstler als Alpha denken. Das Alpha-Tier in seinem Wald, so á la Holzfällen auf der heideggerschen Lichtung. Das heißt: Hier ruht Bossards Hand über jedem Handlungsstrang. Die Welt passt mir nicht, also bau ich meine eigene, Kunst ist keine sparsame Dekoration für kläglichen Alltag, sondern katapultiert einen gleich auf eine Ebene, in der man dann auch wohnen kann. Bossard war nicht geizig, er baute auch für Ausflügler einen Kunsttempel. „Den Heidewanderern, den sehnsüchtigen jungen Menschen der Großstadt soll zum Naturgenuss der weiten Ebene und des hohen Himmels der Atem Gottes, wie er am reinsten und doch menschennahsten aus dem großen und einheitlichen Kunstwerk quillt, eine schönheitliche Quelle, eine Stätte innerer Einkehr errichtet werden.“ Es geht nicht um Verwirklichung von Vernunft durch Kunst, sondern um einen Zustand,, der Vernunft obsolet werden lässt.

Besuchen Sie Bossard! Nie ist das Leben so schlicht und bunt, so erschütternd wasserdicht wie im Gesamtkunstwerk.