Re-entry des Bösen
Am Beispiel des einfachen Soldaten Chris Taylor (Charlie Sheen) führt dieser Film vor, wie sich die USA, die sich ideell problemlos mit Hollywood kurzschließen lassen, den vorbildlichen Patrioten vorstellen. Er ist beweglich, was einschließt, dass er auch mal nicht weiß, was zu tun ist – so bricht Taylor sein College ab, weil er meint, dort nichts mehr lernen zu können –, er ist eingebunden in einen verlässlichen, natürlich auch ein bisschen irritierbaren Familienverband – so sind Chris’ Eltern nicht einverstanden, dass er sich freiwillig zum Kriegseinsatz in Vietnam meldet –, er hat ein positives Verhältnis zu seinem Land, auch wenn er während seines Einsatzes nicht so recht versteht, dass die meisten seiner Kameraden, die aus ärmsten und einfachsten Verhältnissen stammen, im Grunde von der Regierung verheizt werden.
Diese Situation bildet nicht nur den Hintergrund, sondern das eigentliche Problem des Films. An der Front taucht die ungleiche amerikanische Gesellschaft noch einmal auf und lässt sich nicht durch die kriegsbedingte Feindbestimmung zum Verschwinden bringen. Das heißt nicht, dass die amerikanischen Soldaten nicht pflichtschuldig mit der Knarre am Arm durch den Dschungel laufen in der Erwartung, auf den kommunistischen Feind zu stoßen, um ihn zu vernichten. Aber da auch in Vietnam noch die meiste Zeit nicht aktuelle Kampfzeit ist, bildet die Einsatzzone die bekannten gesellschaftlichen Muster, nur in grelleren Farben, noch einmal ab. Die Schwarzen sind auch hier die Letztgereihten, die sich mit geiler Musik und Rauschgift schadlos halten. Die „Frischen“ haben auch nichts zu sagen und sterben am besten gleich im ersten Einsatz. Die Fäden ziehen die Schurken und die Helden, die den eigentlichen Ton, noch vor ihren Vorgesetzten, angeben und anders bekannt sind als die Guten und die Bösen. Der Feind taucht also tatsächlich zweimal auf. Diesseits und jenseits des Frontverlaufs.
„Platoon“ ist die amerikanische Version auf die deutsche „Dolchstoßlegende“ des Ersten Weltkriegs, nur dass der Dolch nicht mehr den Pazifik überqueren muss, um aus der Heimat kommend die Armee vernichtend zu treffen. Das besorgt sie sich schon von ganz allein. Lange, bevor Chris Taylor zu dieser Erkenntnis kommt, zeigt der Film, zum Beispiel an den beiden Kontrahenten Sergeant Barnes (Tom Berenger) und Sergeant Elias (Willem Dafoe), dass die erbittertsten Kämpfe im Innenraum ausgefochten werden, zumeist auf heimtückische Weise, die dem Gegner keine Chance lassen. Gegen die doppelten verhärteten Fronten, die die Vietkong und die eigenen Bösen bilden, zieht der Soldat Taylor einen natürlich sehr begrenzten, aber mit der Zeit immer entschiedeneren persönlichen Feldzug, der erneut zeigt, wo der Feind steht, weswegen man in den Krieg zog, und der, als Durchquerung der eigenen Reihen, aufzuzeigen ermöglicht, wo die Stärken und wo die Schwächen im eigenen System liegen. Und da dies ein sehr amerikanischer und ein sehr patriotischer Film ist, klagt der Film niemandes Charakter an, auch wenn Barnes ein Schwein ist, sondern er legt die Figur des Bösen, Barnes, über die Fatalität des Feldzugs selbst und proklamiert für beide Positionen, dass sie nur an sich selbst zu Grunde gehen können.
Diese Überblendung lässt Raum für Kritik, macht aber letztlich den Kritisierten immun und überlässt ihn seinem eigenen Schicksal. Das Verlogene an dem Film ist, dass diese Überblendung nicht funktioniert. Leute wie Barnes lassen sich töten, aber eine ganze Armee hat dann doch noch den anderen Feind, der in seinem Verhalten mitbestimmt, wie Leute wie Barnes entstehen. Das kann Chris Taylor nicht mehr reflektieren, der, nachdem er seinen Erfahrungsraum vorbildlich durchquert hat und nun, verletzt, die Heimreise antreten darf, mit der bloßen Utopie eines irgendwie anderen Miteinanderlebens auf seine alte Gesellschaft stoßen wird, die noch lange vor Kriegsende nicht weiß, was sie mit diesen Erfahrungen anfangen soll. Leute, die Kriegsfilme sehen, wissen das auch nicht.
Dieter Wenk
<typohead type=2>Oliver Stone, Platoon, USA 1986</typohead>