3. April 2004

Packesel und Cat Woman

 

Cem ist „Sauerland-Kanake“, präziser „Abiturtürke“. Er schreibt Briefe nach Korea, in denen er sich über die „Currywurstbuden-Einöde“ und die typische Abendgestaltung an der nächsten Autobahnraststätte auslässt. Er bleibt ruhig, er kann nichts anderes tun, denn Carla Lee, um die es in Raul Zeliks Roman „Bastard“ geht, ist schwierig und in Seoul, um dort als Journalistin zu arbeiten.

 

Lee ist 27 Jahre alt, in Deutschland aufgewachsen und ein Bastard (portugiesisch/koreanisch). Mischlinge von Menschen bezeichnet man parallel zu Mischlingen von Tieren (besonders Maultier, Maulesel), und diese nennt man nach ihren Funktionen. So kommt der Begriff Bastard von Packsattel, und es ist nicht ein lustiger Zeugungsakt im Sattel, sondern ein zum Bepacken gezeugtes Wesen. Carla Lee fühlt sich bepackt, vor allem mit Kalorien. Erst frisst sie sie in sich rein, sozusagen identitätsstiftend, kotzt sie dann aber doch lieber wieder aus, weil es nicht original Identität macht, sondern eben bloß eine angefressene ist. Das mit dem Original und der Realität ist unzuverlässig bis zur Selbstaufgabe im Roman „Bastard“. Carla Lee rennt tageweise als „Cat Woman“, „Lady Di“ oder Avatar ähnlichen Kalibers in Korea herum. Sie fällt nicht auf, sieht ganz koreanisch aus, kann also erwachsen spielen und sehr heikel, für nicht Auslandskoreaner undenkbar frech und ungehobelt recherchieren über Vertuschungsaffären, die aber jedem Koreaner, der es wissen will, eh klar sind. Was will Carla Lee in Seoul? Sie weiß es nicht.

 

„Außer Fremdheit gibt es kaum Erinnerung“, weder in Korea (Vaterland) noch in Deutschland (Geburtsland). Und Portugal, das Heimatland ihrer Mutter ist Lee wegen Saudade, also altmodischer Melancholetta, völlig suspekt. Das delikate Gleichgewicht/Körpergewicht zwischen Einheit ( „Lee Carla, FU Berlin, 12. Semester Soziologie und Koreanistik, 7. Semester Publizistik“ (auch schon ganz schön viel)) und Vielheit (Cat Woman, Bastard, Vaterland, etc.) gilt es fortwährend wiederherzustellen, es ist in der Tat nichts anderes als die Erinnerung selbst. Diese sinnstiftende Herausforderung gerät zum enervierenden Eiertanz um Kalorientabellen und Karrieregeilheit. Wie es ausgeht, weiß man nicht. Carla Lee wird aus Korea ausgewiesen. Ihr Besuchervisum abgebrochen.

 

Auch auf den letzten Seite kein Abschluss zu bemerken. Einzelne Kapitel sind mit Level, Ladegeschwindigkeit und kleinen asiatischen Spiegelfechtern illustriert flankiert, die sich in ihrer Auflösung durchaus unterscheiden. Es ist, als würden hier Carla Lees Funktionssehnsüchte bebildert, die aber nie in der prosaischen Sprache Raul Zeliks ankommen. Der Text ist eigenartig unberührt vom Layout und geht immer weiter, in verschiedenen Typen und manchmal kursiv. Keine Weinerlichkeiten. Außerdem beschreibt Raul Zelik en passant politischen, gewerkschaftlichen, journalistischen Alltag. Cem holt am Ende seine bulimische Erfolgsjournalistin, Tochter eines koreanischen Gewerkschaftsführers vom Flugzeug ab. Umstrukturierte Identitäten und Staaten, Flächentarifverträge für Körper und Heimatländer und bitte endlich Klarheit in Fragen, wie man zu reagieren hat ...

 

Es gibt derzeit noch kein eigenes Wort für diese Gruppe Menschen, zu der auch Lee und Cem gehören, aber die Beschreibungen werden präziser: „Bevölkerung mit Hamburger-Schule-V-Ausschnitt oder Deleuze-Rollkragen und Pizzicato-5-Hornbrille und Spex-Abonnement.“

 

Nora Sdun

 

Raul Zelik, Bastard (die Geschichte der Journalistin Lee). Assoziation A Verlag, 236 Seiten, Roman, 15 Euro