1. April 2004

Auch er war in Afrika

 

Céline, der sich damals noch Louis des Touches nannte, hatte das Glück, ziemlich am Anfang des „Grand Guerre“ verletzt und ein knappes Jahr später nach einem Bürojob in London für dienstuntauglich erklärt zu werden. Kurze Zeit danach schiffte er sich, er war 22 Jahre alt, nach Afrika ein, nach Kamerun, das seit zwei Jahren keine deutsche Kolonie mehr war. Von dort schreibt er Briefe an eine Freundin und an seine Eltern. Zwar bringt er es nicht, wie Rimbaud nach abgeschlossenem Dichtertum, zum Sklavenhändler (Vorsicht, Legende!), aber immerhin zum Aufseher einer Plantage, bevor er Anfang 1917 ernsthaft erkrankt und zurück nach Frankreich geht.

Afrika scheint ihm ganz gut zu gefallen. Er kennt die Gefahren, weiß sich so gut es geht zu schützen, hat einen guten Riecher, was Geschäfte angeht – und bleibt so europäisch, wie man es nur sein kann. Er kommt nicht als Ethnologe, sondern um Geld zu verdienen. Der Briefeschreiber könnte durchaus ein hochbetagter Altkolonialist sein, der seine Gedanken über das dekadente Frankreich zum Besten gibt, mehr oder weniger zynisch. Seiner Freundin gegenüber verhehlt er zum Beispiel nicht, dass er kein Freund des Krieges ist.

Gleichwohl glaubt er an so etwas wie Fortschritt. Diese Melange ergibt dann folgende erstaunliche Zeilen: „So blutig das gegenwärtige Gemetzel auch sein mag – sagen Sie mir, ob man heutzutage noch christliche Märtyrer erlebt? – ob das Leben eines verwundeten und am Boden liegenden Mannes noch vom Daumenzeichen – 10.000 begeisterungstrunkener Zuschauer abhängt – nein - … Also eine Besserung –“. Aber wie sagte doch ein Harvard-Professor, den er in London traf, über Frankreich: „Fine old country, dear old people“, also zum Untergang bestimmt.

Aber die Rettung oder der Neuanfang auf dem alten Kontinent kommt bestimmt nicht von Afrika. Afrika, das sind Länder, die man erobert, besetzt, eine Zeit lang beherrscht und dabei ausbeutet. Danach verschwindet man wieder. So einfach geht das. Einem Freund in Frankreich empfiehlt er, möglichst bald zu kommen, bevor andere Realitäten schnelle Geschäfte zunichte machen. Auf zwei Seiten schreibt er ihm, auf was er sich einstellen muss (Moskitos) und was er zu beachten hat (zum Beispiel: keine Frauen: Die haben alle Syphilis). Seine Freundin dagegen wird meist mit alteuropäischen Weisheiten beschenkt, so etwa mit gar nicht so dummen Überlegungen des Hegel-Herausgebers Lasson, den Céline zufällig an der Universität in Hannover hörte und der ihn sichtlich beeindruckte. Lasson zu seinen Zuhörern während einer Vorlesung:

„Wenn Sie das Leben sehen wollen, geben Sie acht auf Ihre Sehweise, sie läuft hinter den Illusionen her, drapiert die Wahrheit, mit Lügen, aber beruft sich auf die Wirklichkeit dessen, was sie gesehen hat. So ist also in uns ein unwiderstehliches Bedürfnis nach einem Ideal, nach Extravanz [sic], nach Phantastischem, nach Travestie.“

Das ist so wahr, dass wir Afrika in diesen Briefen nicht zu Gesicht bekommen. Aber wir erfahren, was man dort als Antidot notwendig hat, nämlich eine ganze Menge Arzneimittel, deren Namen der Vater des Touches in einem zweispaltigen Brief zwecks Besorgung zugeschickt bekommt. Am Ende haben sie nicht gereicht. Afrika konnte nicht verdaut werden.

 

Dieter Wenk

 

Louis-Ferdinand Céline, Briefe und erste Schriften aus Afrika (1916-1917), Gifkendorf 1998