31. März 2004

Redeschwall

 

„Schneeweiß und Russenrot“ ist ein einziger Redeschwall. Andrzej, genannt der Starke, labert um sein Leben, und das im wortwörtlichen Sinn. Das ist teils seinem Charakter, teils seinem Milieu zuzuschreiben. Noch viel mehr aber seinem Drogenkonsum und seiner unbestreitbaren Intelligenz.

 

Dorota Maslowska, Jahrgang ´82, ist das Fräuleinwunder Polens. Sie hat mehrere Preise erhalten und unter Kritikern für Aufregung gesorgt. In ihrem Debütroman „Schneeweiß und Russenrot“, den sie mit 18 kurz vorm Abitur an einem Tag runtergeschrieben haben soll, erzählt die Autorin von Jugendlichen, die in einer polnischen Plattenbausiedlung beheimatet sind. Von der Welt vergessen und ausgeschlossen, nichts desto trotz aber nicht uninteressiert am Weltgeschehen debattieren sie über Globalisierung, Europa, den polnisch-russischen Krieg, der ihrer Meinung nach herrscht und sich in ihren Kreisen bis zur Paranoia ausweitet. Die Gespräche kommen in ihrer übertriebenen Besserwisserei einer Persiflage gleich, denn so naiv die politischen Ansichten daherkommen, sie besitzen immer einen kunstvollen Dreh. „Was ich übrigens schon gesagt habe, dass die wirtschaftliche Situation im Land voll negativ ist, Staatstheater und ganz allgemein eine schwache Regierung.“

 

Der von der Autorin inszenierte Slang klingt authentisch bis hin zum Unerträglichen. Nicht selten nervt der dämliche Small-Talk gerade, weil er so gut getroffen ist. Als der Starke von seiner Freundin verlassen wird, kompensiert er seinen Kummer mit Dozieren, Rausch und Sex. Die telefonische Annährung an Angela, die potenzielle Partnerin, läuft perfekt: „Sie fragt, welche Musik ich höre. Alles ein bisschen, sage ich, allgemein alle Arten von Musik. Sie sagt, sie auch. Insgesamt gesehen plaudern wir flott, die Diskussion ist auf hohem kulturellem Niveau.“

 

Kultur ist ohnehin wichtig zur Positionierung in einer ökonomisch maroden Gesellschaft, in der Kaugummis als Symbol des Konsumterrors gelten. „Es geht auch nicht um den Untergrund, weil das interessiert mich überhaupt nicht. Es geht darum, in Kunst zu machen, in Kultur, Lyrikabende, Vernissagen, Lesungen. Es geht um Ideologie.“

 

Davon sind die Protagonisten allerdings meilenweit entfernt. Sie kämpfen ums Überleben oder um den nächsten Trip. Ihr politischer Aktionismus beschränkt sich auf Hirngespinste wie die Gründung einer „Organisation für ökologische Animation“ oder den Überfall auf einen McDonald´s.

 

„Osama macht dich noch fertig, dass du den Europupen einen runterholst“, wird der Übergriff verbal begleitet, der immerhin zwei funktionierende Walky-Talkys in die Hände des Starken und des Linken bringt. „Dann sagt er zu mir, ich soll mal da drüben hin gehen und mich an die Straße stellen, und er bleibt hier stehen und wir reden miteinander. Das mach ich auch, denn die Idee finde ich klasse.“ An solchen Stellen tritt kurzzeitig eine jugendliche Unbeschwertheit zutage, die jedoch gleich wieder abrupt mit Streiterei endet.

 

Maslowska hat einen schnellen, wortreichen Roman über Sozialkrüppel verfasst. Dabei geht es nicht immer politisch korrekt zu. Frauen und Russen schneiden nicht gut ab. „Womöglich sind das, was sich so euphemistisch Frau nennt, eigentlich Russen“, macht Andrzej seinen Unmut deutlich.

 

Wer sich nicht gerade zum beschriebenen Milieu zählt, für den hat die Beschreibung der Drogenabhängigen und Sexbesessenen einen voyeuristischen Beigeschmack. Doch gelingen Maslowska immer wieder quasipoetische Bilder, ohne die Sprache ihrer Protagonisten zu überfordern. „Sieht aus, als wäre sie in Primfaktoren zerfallen, die Haare hier, die Handtasche woanders, der Rock nach links, die Ohrringe nach rechts.“ Und nicht zuletzt sind es die gekonnt umgesetzten postmodernen Erzählmethoden, mit denen „Schneeweiß und Russenrot“ überzeugt, etwa wenn die Autorin selbst als Schreibkraft eines Kommissariats in Erscheinung tritt. Ob es sich bei der Autorin selbst um eine russische Spionin handelt, die das Buch nur geschrieben hat, um unseren Blick auf Polen zu verwirren, bleibt offen.

 

Gustav Mechlenburg

 

Dorota Maslowska: Scheeweiß und Russenrot, KiWi 2004, 240 Seiten, 7,90 Euro