31. März 2004

Butterweiche Landung

 

„Ich versuche Widerwillen gegen das Buch zu empfinden. Es will mir nicht recht gelingen.“ So heißt es in einer Betrachtung des polnischen Autors. Mir ist es mit Stasiuks Buch genau umgekehrt gegangen: Ich habe leichten Widerwillen verspürt, aber ich werde damit nicht glücklich. Denn im Grunde ist „Das Flugzeug aus Karton“ ein ganz sympathisches Buch. Aber genau darin liegt das Problem. Es scheint so souverän auf einem gewissen gediegenen Meditationsniveau zu schweben, so elegant an rückengepolsterte All-over-Betrachtungsweisen angeschlossen zu sein, dass man erst mal dankbar ist für die immer noch mögliche Wehmut, die einen an Benjamin denken lässt und dieses heute doch eher seltene Lesegefühl wachruft, ohne das wir schon lange nicht mehr zum Buch greifen würden.

 

Aber je mehr man liest, desto mehr stellt man fest, dass man nicht so recht klug wird aus diesen kleinen Texten. Und das liegt nicht nur daran, dass der durchschnittliche deutsche Leser von Polen und polnischer Literatur nicht viel weiß. Diese Texte vertragen nur schwer ein zweites Lesen. Ein genaueres Hinsehen.

 

Ein Kurztext fängt so an: „Wenn man auf die Vierzig zugeht, nimmt die Beziehung zwischen Zeit und Raum leicht obsessive Züge an.“ Interessante These, aber das hätte man doch gerne mal entwickelt. Aber wenn der Autor selber am Ende der Skizze von den „paar chaotischen Sätze(n)“ spricht, die die Skizze bilden, dann fragt sich der Leser, warum denn dann überhaupt geschrieben wird. Oder dieser Anfang: „Ich frage mich, welche Gegenstände von unserer Welt übrigbleiben werden. Schließlich hat das eine gewisse Bedeutung, denn das Gedächtnis besitzt eine dem Licht verwandte Struktur: es bricht sich an den Rändern der Dinge, wird zerlegt und zurückgeworfen.“

Das hört sich ganz schick an, man sieht schon das an den Marginalitäten poststrukturalistisch geschulte Publikum der Literaturhäuser sanft nicken, aber hilfreich oder Erkenntnis erweiternd ist der Vergleich nicht. Vielleicht ist es nicht ganz falsch, wenn man bei manchen Texten an Botho Strauß denkt und überhaupt an die Literatur des Verlustes von Welt. Glücklicherweise hat Stasiuk nichts von einem Bekehrer. Er weiß es auch nicht besser. Und weil das so ist, klagt er nicht. Nur ganz selten gibt es klare Absagen, der Eindruck überwiegt jedoch, mit diesem Buch in eine Art Wortpudding gefallen zu sein. Pastell statt Pop, Ästhetizismus statt Archiv.

 

Damit sei gar nichts gegen diese Art Literatur gesagt, Hofmannsthal hat wunderbare Aufsätze aus diesem weichen Material in fragilste Form gebracht, und genau so etwas würde man heute, entsprechend aktualisiert, sehr gerne lesen. Stasiuk hätte das Zeug dazu. Und dass er einen überhaupt wieder auf den Geschmack gebracht hat, dafür muss man ihm Dank sagen. Texte, die um fast nichts gehen. Die unauffällig verlaufen. Wie das Leben, das ja auch nicht alle fünf Minuten mit einem Ausrufezeichen klotzt. Es sei denn, man hält es mit Céline, einem Antipoden Stasiuks, dem dieser gleichwohl einen freundlichen Text widmet.

 

Dieter Wenk

 

Andrzej Stasiuk, Das Flugzeug aus Karton. Essays, Skizzen, kleine Prosa, Suhrkamp, Frankfurt 2004