30. März 2004

Der vergessene Wagner

 

Sibylle Zehle schreibt flüssig und spannend, offenbar hat sie glänzend recherchiert, benutzt Richard Wagners Autobiografie als ungefähre Grundlage, beruft sich aber hauptsächlich auf den Briefwechsel zwischen Minna und ihrem Mann.

 

Für das Werk Richard Wagners ist Minna sicher das, und zwar singulär, was bei Goethe die vielen Frauengestalten sein Gesamtwerk begleitend waren: Sie war – bei aller eitlen Selbsteinschätzung ihres Mannes im Laufe ihrer 30-jährigen Ehe so etwas wie das Regulativ für das „einzige Genie des 19. Jahrhunderts“ (Thomas Bernhard in „Alte Meister“). Alle Planungen für Wagners Musikdramen einschließlich dem „Parsifal“ liegen bei der Trennung des Paares bereits vor, sodass man nicht fehlgeht, Minna als Wagners Muse zu bezeichnen. Dabei ist sie in ihrem Werdegang als gefeierte Schauspielerin durchaus emanzipiert und gibt ihrem Mann nach der Flucht aus Dresden, also nach 15-jähriger Ehe, selbstlos frei, weil sie an seine Größe glaubt, die er aber nur allein erfüllen könne. Wagners Begegnung mit anderen Frauen und schließlich seine zweite Ehe mit Cosima, geborene Liszt, bestätigen nur, was in seiner ersten als Grund gelegt war. Die einzige Ausnahme bildet wohl der „Tristan“, der bestimmt auf das Erlebnis Mathilde Wesendonck zurückzuführen ist, aber gleichzeitig sein Verhältnis zu Hans von Bülow beschreibt.

 

Die Autorin geht keineswegs schonend mit dem in der Minna-Biografie auftauchenden Personen um, verletzt aber auch nirgends die respektvolle Distanz. Das Buch ist gleich interessant für die so genannten „Wagnerianer“ wie die Wagner-Gegner. Dieser Antipoden-Krieg wird eh nie enden. Eine sorgfältige Bibliografie und ein ausführliches Literaturverzeichnis erheben das Buch zu einem unentbehrlichen wissenschaftlichen Werk.

 

„Minna Wagner, eine Spurensuche“ von Sibylle Zehle, Hoffmann und Campe 2004, 575 Seiten