Das Gerücht

Am frühen Morgen, sie hatten gerade bei ihrem ersten und letzten Kaffee des Tages gesessen, hatten sie etwas gehört. Eine Stimme, die sich, begleitet vom Schlag einer Autotür, Richtung Treppe und dann ins Haus selbst vorarbeitete, von wo sie von Janoschs, die ihre Ohren auf ihre Wohnungstür gelegt hatten, in die Wohnung unter ihnen begleitet wurde.
Frau Janosch blickte Herrn Janosch an, die Augen leicht zusammengekniffen und flüsterte etwas, was dieser nicht verstand, sodass er sagte: „Was?“
Und wieder flüsterte sie.
Und wieder: „Was?“
Er fragte so oft, bis seine Frau, die Augen verdrehend, ihn ansprach: „Sie werden wohl die alte Frau von unten holen.“ Herr Janosch erschrak. Sie? Es gab sie also wirklich. Er konnte es gar nicht glauben.
„Du meinst also, es gibt sie wirklich?“
Seine Frau nickte und hob den Finger, weil wieder Geräusche zu vernehmen waren, dann sagte jemand: „Sei doch vorsichtig.“ Und dann wieder das Geräusch, als würde man etwas die Treppe hinunterzerren.
„Ganz sicher“, sagte Frau Janosch. „Sie haben sie geholt. Sie war alt. Und bei der Wohnungsnot werden sie beschlossen haben, dass sie …“ Sie ließ unausgesprochen, was keiner Worte bedurfte.
Herr Janosch erbleichte. „Das sind nur Sagen, Legenden.“
Seine Frau grinste ihn an. „Geh doch nachsehen“, sagte sie.
Er verwehrte den Dienst.
„Nein“, sagte er. „Ich bleibe. Geh du.“
Da sie beide nicht nachsehen wollten, widmeten sie sich wieder ihrem Kaffee.
Unten war abermals das Schlagen von Türen zu vernehmen, dann fuhr ein Auto davon, während Janoschs sicher wussten, dass die Wohnung unter ihnen bald neu bezogen werden würde. Die Gerüchte, sie stimmten also. Besser man schwieg darüber, um nicht die Aufmerksamkeit derer auf sich zu ziehen, die sich um diese Wohnungslauflösungen kümmerten. Herr und Frau Janosch beschlossen, dass sie an diesem Morgen nichts gehört hatten. Und die Wohnung unter ihnen? Sie waren sich nicht sicher, vermuteten aber, wenn sie in ihrer Erinnerung kramten, zu wissen, dass sie schon länger unbewohnt war.
Guido Rohm