28. Juli 2025

Stürzen und Fallen

Bas Jan Ader: I’m too sad to tell you, 1970-71
Bas Jan Ader: Fall 2, Amsterdam, 1970
Bas Jan Ader: In Search of the Miraculous (One Night in Los Angeles), 1973
Bas Jan Ader: Broken fall (organic), Amsterdamse Bos, Holland, 1971
Bas Jan Ader: Broken Fall (geometric), Westkapelle – Holland, 1971


Bas Jan Ader in der Hamburger Kunsthalle 

Derart umfassende Überblicksausstellungen zu Bas Jan Ader (1942–1975) wurden – gemessen an seinem Einfluss und seiner Bedeutung als „artist’s artist“ – bisher selten gezeigt: Erst 1999 gab es die erste US-Retrospektive, 2006 eine im Museum Boijmans Van Beuningen Rotterdam, 2007 folgte eine weitere in der Kunsthalle Basel. Häufiger sind seine Werke dagegen in thematischen Gruppenausstellungen zu finden, da sie in ihrer konzeptuellen Eigenart und bildhaften Prägnanz thematisch oft gut anschlussfähig sind. Die Hamburger Kunsthalle etwa zeigte Bas Jan Ader zuletzt 2013 im Rahmen der Gruppenausstellung „Besser scheitern“. 


Jetzt also die Gesamtschau: Brigitte Kölle, Leiterin der Galerie der Gegenwart – der zeitgenössischen Abteilung der Hamburger Kunsthalle – hat mit der Ausstellung I’m searching… eine eindrucksvolle Retrospektive kuratiert. Diesem Künstler heute eine Werkschau zu widmen, darf schon deshalb als verdienstvoll gelten, weil Ader wohl noch immer einer der „bekanntesten Unbekannten“ in der jüngeren Kunstgeschichte ist. Das im Umfang schmale Werk – die zentralen Arbeiten entstanden zwischen 1970 und 1975 – des mit 33 Jahren bei einer Atlantiküberquerung verschollenen niederländischen Künstlers ist in seinem Einfluss auf nachfolgende Künstlergenerationen bis heute kaum zu überschätzen. Warum das so ist, spürt man beim Flanieren durch die Ausstellung sofort: Als Konzeptkunst-Position ist sein Werk von Eigensinn, Humor und subjektiv-emotionalen Aspekten geprägt. Dieses Werk ist einerseits erkennbar in ästhetischen Diskursen seiner Zeit verwurzelt – in der kalifornischen Konzeptkunst etwa und ihren charakteristischen Medien Fotografie, Performance, Konzept und Installation –, weist aber andererseits in allem über seine Zeit hinaus. Der Künstler deutet die konzeptuellen Praktiken seiner Zeit um und öffnet sie für eine Art von existentieller Selbstbefragung. Innerhalb der damals jungen Strömung einer Konzeptkunst, die sich, oftmals selbstbefragend, um Bedingungen der Möglichkeit von Kunst bewegte, war diese subjektive Dimension innovativ – und wohl auch provokativ. Aus der Rückschau wirkt Ader deshalb immer auch ein bisschen wie ein genialer Einzelgänger. Darüber entfaltet Aders Werk eine Tiefe und poetische Hermetik, die, konzeptuell unkonventionell, stets auch etwas Berührendes, ja, Ergreifendes anspricht.


Es wundert also nicht, dass sein Werk reich an kunstimmanenten Referenzen ist – etwa in den Fotoserien On the road to a new Neo Plasticism, Westkapelle, Holland (1971) oder Untitled (Flowerwork) (1974), in denen Ader spielerisch-ironisch auf Mondrians Reduktion auf die Grundfarben Rot, Gelb, Blau und horizontal-vertikale Raster abzielt. Doch es gibt darin auch durchweg eine zweite Ebene, die wie imprägniert scheint mit existenziellen Fragestellungen: Das zeigt sich etwa im Thema des Suchens, einer Kernmetapher des Werks, die bereits im Ausstellungstitel anklingt und die der Künstler vor allem in der unvollendeten Trilogie In search of the miraculous (1973–1975) entfaltet – einer berührenden, am Ende tragischen Engführung von Kunst und Leben und dem ultimativen Scheitern. In Formsprachen konzeptueller Reflexion geht es bei Ader um eine Suche nach sich selbst, um das Subjekt im Diskurs und im Kosmos – um das schlichte wie ungreifbare Wunder des Daseins und um die Verletzlichkeit darin. Er thematisiert das Scheitern, das Fallen, ganz generell die Schwerkraft als Existenzial. Solche Themen könnten sehr leicht Kitschpotenzial haben, und es ist bezeichnend, dass dieser Eindruck zu keiner Zeit in Aders Werken aufkommt. Mit konzeptueller Lakonie und surrealem Humor entwickelt er eine eigenwillige Bildsprache, die Formfragen der Kunst mit intensiv emotionalen Komponenten verbindet.


Das markanteste Beispiel dafür ist wohl der 16-mm-Film I’m too sad to tell you (1970–1971), hier flankiert von einer Fotoversion und Postkarten des Motivs, die Ader an Freunde verschickte. Es ist das Signature piece seines Werks: Über gut dreieinhalb Minuten hinweg sieht man dem Künstler in Großaufnahme zu, wie er in Tränen ausbricht. Man ahnt, es ist inszeniert, und kann sich der Wirkung dennoch nicht entziehen. Der Titel suggeriert die Ungreifbarkeit jenes Trauergefühls, es lassen sich – „too sad to tell you“ – dafür eben keine Worte finden, da bleibt alles emotive Außenperspektive. Der Film ist durchdrungen von Ambiguität: zwischen Inszenierung und Intimität, formal klar und zugleich suggestiv. Das trauernde (Künstler-)Subjekt bleibt darin ohne Worte ungreifbar und in aller Öffentlichkeit mit sich allein.


Ein weiterer Höhepunkt der Schau sind die vier projizierten 16-mm-Filme aus der Falling-Werkgruppe. Es handelt sich um FALL 1, LOS ANGELES (1970), FALL 2, AMSTERDAM (1970), Broken Fall (geometric)Westkapelle Holland (1971) und Broken Fall (organic) Amsterdamse Bos, Holland (1971). Durchweg ikonische Sujets, die man jedoch nur selten im Original als flimmernde Bewegtbilder erlebt. Die Inszenierung des Fallens, das Existenzial der Schwerkraft erforscht Ader ja in zahlreichen Facetten, buchstäblich als den ästhetisch konzipierten Un-Fall. Stilistisch öffnen die vier Filme eine Ambivalenz zwischen Slapstick und Drama: Während Ader in FALL 1 vom Dach seines kalifornischen Hauses stürzt, anfangs absurderweise auf einem Stuhl auf dem Dachfirst thronend, um kurz darauf, sich mehrfach überschlagend, in den Büschen zu landen, nähert er sich in FALL 2 per Fahrrad einer Amsterdamer Gracht, und – man sieht es mit quälend amüsierter Gewissheit kommen – stürzt samt Rad hinein. Kurze Sequenzen bloß, kaum 20 Sekunden lang, deren Plot in Endlosschleife von Mal zu Mal absurder wirkt. Das Moment der Inszenierung bleibt jederzeit erkennbar, und doch ist man unweigerlich berührt vom grundstürzenden Geschehen. Im komischen Scheitern schimmert stets essenzielle Verletzlichkeit durch. Ader weiß offenbar um jene Suggestivkraft, die Menschen veranlasst, anderen bei Unfällen zuzuschauen: Jeder kann sich darin selbst erkennen. In seinem Werk nimmt Ader die Rolle des exemplarisch Scheiternden ein. Und spricht damit – auch weiterhin – zu jedem von uns.

Jens Asthoff



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Bas Jan Ader, „I’m searching…“, Hamburger Kunsthalle, 11.4.–24.8.2025. Katalog: Bas Jan Ader, I’m searching…, Brigitte Kölle (Hg.), Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln, 2025. Auf Englisch, Texte von Erik Ader, Mary Sue Ader Andersen, Paul Andriesse, Peter Bakker, Pedro de Llano Neidra, Juliane Kersting, Brigitte Kölle, Jan Verwoert, 208 S., 39,80 Euro

https://www.hamburger-kunsthalle.de/en/exhibitions/bas-jan-ader