19. Oktober 2024

Gefährliche Freundin

 
Am Ende ist man klüger. Am Ende leuchtet der Beginn in einem anderen Licht.
Am Anfang ist Melanie Griffith. Sie ist Lulu. Lulu ist wild. Sie ist gefährlich. Sie trägt ihre schwarzen Haare wie einen Helm. Das Leben ist eine Schlacht. Und sie ist die erotische Soldatin, die sich ins Kampfgetümmel stürzt. Sie reißt das Leben an sich, mit sich.


Sie ist eine Naturgewalt. Das Leben scheinbar selbst. Ohne Ziel und ohne Sinn. Ohne Gründe wird sie zum Grund ihres Daseins. Sie ist sich genug. Eine Feier des Selbst.
Und dann ist da der langweilige Yuppie Charles Driggs, gespielt von Jeff Daniels, ein lauer Wind, ein Staubkorn, das nur auf den Wirbelsturm Lulu gewartet hat, jenen Tornado, der ihn nach einem Restaurantbesuch hinaus in ein sich überschlagendes Leben katapultiert. Ein Leben, das bisher ohne ihn stattgefunden hat. Ein Mann, dem es als kriminelle Großtat erscheint, wenn er eine Lokalrechnung unterschlägt.


Lulu ist der Wasserfall, auf den er zutreibt, vom dem er sich in die Tiefe reißen lassen möchte. Sie trinkt, sie verführt, sie spielt mit ihm. Sie ist eine Amazone, eine Beherrscherin, eine, die dem Leben mit einem breiten Grinsen begegnet. Sie fesselt die Männer. Und dies wortwörtlich. Driggs bekommt Handschellen, er, der ihr sanft lächelnd hinterhertölpelt. Der nun endlich in gefährliche Stromschnellen geraten ist.


Film ist Bewegung, und dieser Film bewegt sich, unaufhörlich holt er sich selber ein, er verkleidet sich, ist bald hier, bald da. Ist Komödie, Drama, Roadmovie, Film noir.
Lulu tritt auf, dieses Mal in einem neuen Outfit. Eine neue Frau? Nein. Eine neue Rolle? Vielleicht. Jetzt heißt sie Audrey Hankel, die mit Driggs in ihrer Heimatstadt auftaucht, um ihre Mutter zu besuchen, um ihr vorzutäuschen, Driggs sei ihr Ehemann, eben jener Driggs, der sich auf dieses Spiel einlässt, der es mitträgt, er, ein Vertreter des schwachen Geschlechts. Männer sind in dieser Welt entweder Waschlappen, wenn auch nette, oder aber brutale Schläger.


Bewegung, Bewegung. Weiter geht es zu einem Klassentreffen, und wieder ändert der Film sein Aussehen, wirft er sich eine neue Verkleidung über, wird er zu einem Film noir, in jenem Moment nämlich, da Ray Liotta auf der Bildfläche erscheint; in seinen Augen ein Raubtier, das ausbrechen möchte. Er ist der tatsächliche Ehemann von Audrey, der frisch aus dem Gefängnis entlassen wurde. Und der nun seine Frau zurückverlangt. Dessen Schlägerpranken sie sich einverleiben wollen. Der sie besitzen will. Zurückbesitzen will. Audrey das Opfer, die ihre Lulu benötigte. Lulu, die erschaffen wurde, um Audrey zu befreien. Selbst muss die Frau sein. Wenn sie überleben will, muss sie sich und ihrer Rolle durch eine neue Rolle entkommen.
 
„Gefährliche Freundin“ von Jonathan Demme aus dem Jahr 1986 ist einer jener Filme, die intuitiv inszeniert scheinen, als würden sie einem dem Stoff innenwohnenden Gefühl unaufhörlich folgen. Das macht „Gefährliche Freundin“ zu einem wilden, einem gefährlichen Film, der den Zuschauer an jeder Straßenecke, an der er abbiegt, in eine Richtung mit sich nimmt, eine Richtung, die tatsächlich zu Neuland wird. Nichts ist hier so, wie es scheint. Auch nicht die Vergangenheit von Driggs. Am Ende blicken wir zurück. Und verstehen, warum er mit Lulu beginnen musste. Warum die Welt Lulus braucht.

Guido Rohm


 Jonathan Demme: Gefährliche Freundin, USA 1986