1. Januar 2024

Der Geruchswecker


 
Im Treppenhaus riecht es nach der Frau, die im Stockwerk unter uns wohnt. Sie ist alt, man könnte also sagen, dass es irgendwie unbestimmt nach ihrem Alter riecht, nach ihrem fortschreitenden Alter, denn es riecht irgendwie muffig, ungelüftet, es riecht nach verbrauchter Zeit.
Am Morgen kann man ihren Wecker hören, sie aber wohl nicht, denn sie ist schwerhörig. Sie hat auch Probleme, ihren Fernseher zu verstehen, den sie manchmal so laut aufdreht, dass wir jedes Wort vernehmen.
Wir haben unser Aufstehen längst nach ihrem Wecker ausgerichtet. Läutet er uns aus den Betten, krabbeln wir hinaus und lauschen. Nichts zu hören. Sollten wir sie ansprechen? Sollten wir ihr erklären, dass sie ihren Wecker gar nicht benötigt, da sie sich schon lange im Ruhestand befindet? Es scheint uns zu kompliziert, daher haben wir das Läuten akzeptiert und uns darauf eingestellt. Auch auf den Geruch, der von unten nach oben strömt und der uns verrät, dass sie gerade Besuch hatte. Oder dass ihr das Essen gebracht wurde. Es ist eine Art Geruchswecker, der uns verrät, dass es ihr gut geht. Dass sie noch am Leben ist. Dass wir uns noch keine Sorgen machen müssen.
Es kam auch schon einmal vor, dass ihr Feuermelder aufheulte. Aufgeregt, denn sie ist Raucherin, versammelten wir uns vor der Wohnung, beratschlagten und klingelten.
„Es könnte brennen“, sagte jene Dame, die direkt neben ihr wohnt.
Wir schnüffelten, klingelten weiter, aber nichts, sie öffnete nicht, sodass wir schließlich einen Schlüssel holten, den eine weitere Nachbarin für Notfälle aufbewahrt.
Rasch schlossen wir auf und stürmten hinein, fanden sie aber glücklicherweise im Wohnzimmer, wo sie von all dem Trubel nichts mitbekommen hatte. Erstaunt blickte sie uns an.
Rauch war in der Küche entstanden, wo sie die falsche Herdplatte eingeschaltet und einen Lappen auf die Abdeckung gelegt hatte.
Zum Glück war nichts geschehen.
Sie war also nicht nur schwerhörig, sondern auch schwerriechend.
Wir gingen zurück in unsere Wohnung.
Die Dame weckt uns weiterhin mit ihrem Wecker, aber wir sind glücklich darüber, denn so wissen und riechen wir täglich, dass sie noch am Leben ist.

Guido Rohm