Die Toten
Die Nachrichten, sagt sie, die Nachrichten machen mich krank, ich denke nur noch an die Toten, an die jungen Leute, die auf diesem Fest abgeschlachtet wurden, die getötet wurden, die aus der Erde gezupft und achtlos weggeworfen wurden, sagt sie und zündet sich eine Zigarette an, obwohl sie eigentlich nicht raucht, sie zieht an der Zigarette, saugt daran und spuckt den Rauch aus, sie inhaliert ihn nicht, ganz verzweifelt nuckelt sie an der Zigarette, während er den Kopf schüttelt, sie steigere sich da zu sehr hinein, sie müsse sich lösen, keine Nachrichten mehr lesen, auch keine mehr ansehen, er lasse die Nachrichten links liegen, er könne nicht das ganze Leid der Welt in seinen Kopf stopfen, sagt er, während sie es nicht fassen kann, mit so einem Kretin verheiratet zu sein, einem solchen Wegducker, Wegschauer, einem solchen Verdrängungsfachmann, der würde noch ihren Tod verdrängen, nur um sich nicht zu belasten, sie spürt, dass die Welt vor die Hunde geht, schneller als jemals zuvor, sie kullert einen Abhang hinunter, auf einen Abgrund zu, ach Unsinn, sagt er, du bist so pessimistisch, es geht uns doch gut, sagt er und nimmt die Zigarette an sich, er drückt sie aus, schaltet den Fernseher aus, die Toten erlöschen, die Sterbenden verschwinden, zurück bleibt eine schwarze Mattscheibe, die sie spiegelt, die sie zeigt, sie beide im großen Schwarz des Bildschirms, wie sie sich in den Arm nehmen, wie sie mit der Welt umgehen, jeder für sich und doch auch gemeinsam, so halten sie sich fest, um nicht alleine durch das nachtschwarze Weltall des Bildschirms zu stürzen, dort, wo man nicht atmen kann, dort, wo man erstickt.
Guido Rohm