30. Mai 2023
Gäste des Filmscreenings in der Wohnung von Nele Budelmann.
Schweinebraten, ja, Küchentisch, nein.
... Brathuhn gab es aber auch.
Geld ist immer ein Thema. Kleingeld abzählen zum Kauf eines Burgers.
Rauchen im Kinderspielplatzhäuschen.
Nach dem Angeln, Feuermachen, Klettern, Essen, Rauchen etc. wird noch getanzt.
Der Ast von der Isar, der nach Hause geschleppt wird, um dort dekorativen oder magischen Zwecken zu dienen.
Glitzernde Isar mit selbstgebauter Angelpose.
Glitzernde Kleidung der nächtlichen Anglerin.
Glitzerndes TV-Feuerwerk zuhause.

Fabien Lübke, Die Langeweile der Jugend

 

2. Mai 2023, 5 Grad Celsius. Ich sitze im Pelzmantel auf dem Kinderspielplatz, trinke Bier und rauche selbstgedrehte Zigaretten. Bis auf die Temperatur ist es ein ideales Setting, um über den Film von Fabien Lübke (zusammen mit Petra Morzé und Elias Langermann), zu schreiben, denn das Rauchen auf Kinderspielplätzen kommt auch im Film, Die Langeweile der Jugend, vor.

Dieser Film wurde kürzlich in kleinem halbprivaten Rahmen in der Galerie-Wohnung genannten Behausung der Künstlerin Nele Budelmann gezeigt. Ich sah ihn gleich zweimal.

Die Entscheidung, den Film genau dort zu zeigen, war phänomenal großartig. In etwa so, als gäbe es Geruchskino oder Immersion.

Im Film spricht und spielt die 50+ jährige österreichische Theaterschauspielerin Petra Morzé die Tagebuchtexte des 20+ jährigen Filmemachers Fabien Lübke.

Es ist ein Gedanken- und Notizenstrom, getragen von einem Tagebuchtypischen Adoleszenzpathos, (welches sich so auch bei sehr viel älteren Menschen findet). Das bemerkenswerte dieser Tagebuchaufzeichnungen ist der fließende, die Themen gleichberechtigende, niemals nie zu Vanitasgeheul anschwellende oder pubertär ausbrechende Ton, was allein bereits eine Besonderheit ist.

Die Textebene scheint eher interessiert an der eigenen „Langeweile“, und (vielleicht gerade für Hamburg besonders) zu keinem Zeitpunkt des Films wird sich ironisch von der Sache distanziert, sei es ein Gedanke oder eine geschilderte soziale Interaktion.
Diese ironische Distanzierung von den Zuständen von Jugendlichkeit ist vielleicht auch überflüssig, wenn man Petra Morzé als Hauptdarstellerin gewinnen konnte.

Dieser Film wird nun also in der Wohnung der 50+ jährigen Nele Budelmann aufgeführt, deren Vorstellungen von einer Wohnung konträr zu landläufigen Wohnformen ist.

Wie im Film archaischen Kulturtechniken – wie angeln mit selbstgebauter Pose und gefundener Schnur, Feuer machen aus städtischem Müllkleinholz (Gemüsekisten), rauchen in Kinderspielplatzhäuschen – gefrönt wird, hat Nele Budelmann im Laufe der Jahre die Wände ihrer Wohnung mit gemalten Mosaiken überzogen und die lackierten Türen mit Beitelstichen zu mosaikähnlichen Gebilden zerhackt. Es gibt keinen Küchentisch, dafür zum Screening von Die Langeweile der Jugend aber einen exzellenten Schweinebraten – vermutlich das Gericht, was ihr einfällt, wenn sie an den Drehort des Films denkt: München.

Der Film zeigt Abfolgen zielloser, aber konzentrierter Tätigkeiten, und weil es in München ist, muss es nachts stattfinden, … kiffen, herumgekraxel, glotzen und Zeit verstreichen lassen im öffentlichen Raum geht in der bayrischen Landeshauptstadt eigentlich nur nachts – zu rigoros ist die bürgerliche Diktion der Stadt tagsüber.

Kulturtechniken junger Männer aufgeführt von einer älteren Frau, als Film präsentiert in der Wohnung einer anderen älteren Frau, die die bürgerlichen Würdeformeln perfekt beherrscht, aber für ihr eigenes künstlerisches Arbeiten als störend empfindet. … denn natürlich gibt es Silberbesteck, aber den Braten isst man mit einem Messer, den Spargel mit einem Löffel, wer sich dabei bekleckert, ist selber schuld, wen das auch noch geniert, ist ganz sicher bürgerlich verspannt.

Wieder der Film. Petra Morzé lacht immer mal, vor allem bei englischen Passagen des Tagebuchtexts. Ihr Lachen ist wie eine Reflexion des übergenerationellen Themas der „Langeweile der Jugend“, denn diese Phase hat sich in diesen Breiten seit den 70ern nicht groß verändert: Die lässig verstreichende Zeit ist der eigentliche Hauptdarsteller dieses Lebensabschnitts im Film von Fabien Lübke, Petra Morzé und Elias Langermann wie im echten Leben von Jugendlichen; begleitet von allerlei Ereignissen und Tätigkeiten: fischen, Feuer machen, essen, klettern, rauchen, tanzen, aufs Wasser schauen. Diese Tätigkeiten ergeben sich, sie sind niemals zwingend. Der ganze Film ist nicht aufdringlich, drängend, will nichts erklären oder richtigstellen … Wiederum blicke ich mich verwundert um in der Wohnung von Nele Budelmann, ein idiosynkratisches Gebilde, radikal in der Form, unklar in der Sendung, auch hier wird nichts erklärt, es hat sich scheinbar ergeben.

Am Ende des Films gibt es eine Szene, die den „Einbruch des Realen“ zeigt: Ein etwa drei Meter langer Ast muss aus unklaren Gründen (vermutlich handelt es sich um Fantasien von Strandräuberei und Wohnungsdekoration) mit „nach Hause“ verschleppt werden. Der Ast ist fast zu sperrig fürs Treppenhaus. Die Wohnungstür der Eltern öffnet sich und man wird umfangen von bestürzender Normalität (dabei war es draußen nicht so viel anders, aber eben doch anders, vor allem war es draußen und nachts). „Pflanzen gießen“ steht auf einem Zettel im Wohnungsflur. Die zu einem Posterspruch erodierte Sentenz Rahel Varnhagens grüßt von einer Postkarte: „Ich lasse das Leben auf mich regnen.“ Sprich: Mama anrufen und Taxifahrer werden.

Aber Nein! Jetzt nicht. Dieser Film ist keine Selbsternüchterung. Jetzt wird der Fernseher angeschaltet (klar, bei den Eltern gibts solche Geräte noch) und es läuft irgendein Feuerwerk, aber auch dieses ist nicht der pompöse Abschluss eines Feiertags, sondern ein optisches Echo auf die ersten Minuten am Anfang des Films: Die Lichtreflexe auf der schnell strömenden Isar. Also mehr Traum als Demonstration.

Die Kamera (zum Teil in bleichem Nachtsichtmodus) ist fröhlich, albern, neugierig. Die Schauspielerin ist derweil unbeirrt konzentriert bei der Sache, (sie kann mit der Kamera im Gesicht Fast-Food essen, dass man selber in Erwägung zieht, so etwas jetzt essen zu wollen).

Das adoleszente anders-sein-auslotende, nicht das der Jugend seit je unterstellte desinteressierte Hängen und Dröhnen, sondern das behände ziellose Werkeln, ist in diesem Film durchkreuzt von einem Anders-Sein, verkörpert von Petra Morzé, verräumlicht durch die Wohnung, in der der Film gezeigt wurde.

So ist es die Ziellosigkeit von Tätigkeiten und Gedanken, die Ausweis von Jugend ist, was fälschlich als Übersprungstätigkeiten aus Langeweile interpretiert wird. Langweilig wird es so aber mit Sicherheit nie!

 

(Fabien Lübke, Petra Morzé, Elias Langermann, Die Langeweile der Jugend, 2023, 40:28 Min.)

(Nora Sdun, Mai 2023)