12. Mai 2023

Afrikanisches Sprechen auf Deutsch


Kapstädter Impulse, letzter Teil

Bruno Arich-Gerz


Deutsch als Kolonialsprache ist ein Fort-da-Spielchen. Sie war es nicht lange genug, um zur Zielscheibe einer postkolonialen Kritik zu werden, die das ‚-phone‘ aus Europa – das Frankophone, Anglophone, Lusophone – anklagt als neokoloniale Komplizin von Bildungs- und Entwicklungsidealen: also als Sprachen, die den imperialen Kanonenkugel folgten. Glück gehabt, denn Deutsch war damit fein raus.

Trotzdem ist sie wieder da.

Die Rede von Deutsch als Kolonialsprache ist heute sowohl eine Geste im Geiste des vierten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland Helmut Kohl, der mit Blick auf die Nazi-Ära, ihre Verbrechen und Täter (in deren generationaler Folge er stand) von der Gnade seiner späten Geburt spricht. Hier ist es eine Art Gnade des frühen, bereits 1919 über die Bühne gegangenen Verlusts der Kolonien. Deutsch als Kolonialsprache ist somit eine der Wiederkehr: eine des weiterhin Da-gewesen-Seins – etwa in Südwestafrika mit seinen im Land verbliebenen kaiserdeutschen Siedlern und ihren in Küchendeutsch angelernten Subalternen nach 1930. Daran reibt sich die École d’Hanovre, die es in ihren Vorstellungen von Entwicklung aufs Korn nimmt.

Deutsch als Wieder-da-Sprache ließe sich in Afrika auch anders vermitteln als im Dienst von ökonomischer Entwicklung stehendes, zweckrationales Medium. Dass und wie sie in ihrem Wortschatz Gast gibt, war eingangs Thema: Darauf könnte man im Subsahara-afrikanischen Fremdsprachenunterricht kritisch reflektieren. Es wäre genauso eine Veränderung und damit eine Transformation gegenüber existierenden unterrichtlichen Ansätzen, etwa durch das Modifizieren – und damit Dekolonisieren – des Kanons, der zur Unterrichtslektüre und damit zum Sprachmaterial der (Aus-)Wahl wird. Der Name für so was: Afrikanisches Sprechen auf Deutsch.

Afrikanisches Sprechen auf Deutsch ist eine Transformation gegenüber einer kartoffeldeutschen Urheberschaft von literarischen (Schiller, Hölderlin, Fontane, … Gustav Frenssen??), biografischen (Dichtung und Wahrheit) und anderen als wichtig erachteten Texten (etwa philosophische wie die von Hegel, für den „Afrika … kein geschichtlicher Weltteil“ und damit geschichtslos war).

Afrikanisches Sprechen auf Deutsch ist heute, nach anderthalb Jahrhunderten gegenseitiger Gasthörerschaft seit den Zeiten der Missionare und weltlichen Imperialisten und danach einer vehementen voyage-in von Afrikaner:innen ins Wurzelsprachgebiet, gang und gäbe. Afrodeutsch und Afropäisch nennt sich das nun, oder Afropolitismus. Warum nicht die Zeugnisse aus der frühen Zeit dieser doppelten Migrationssprache – das im Kolonialismus von solchen wie Witbooi aus pragmatischem Zwang erworbene Deutsch und das der späteren, deutschlanderfahrenen Migrant:innen – abklopfen auf seine vielleicht größere, weil die afrikanische Sicht transportierende und damit für eine Interkulturelle Germanistik und Deutschdidaktik ganz anders anschlussfähige Tauglichkeit? Die Lebensgeschichten der Ex-DDR-Kinder aus Namibia wie Lucia Engombe, aber auch Stefanie-Lahya Aukongos vom selben Ghostwriter federgeführtes Buch Kalungas Kind, und die mehrheitliche Weigerung (die es eigens aufzubereiten gälte), die Sondersprache Oshideutsch preiszugeben, um sie nach der üblichen sprachanalytischen Prozedur zu didaktisieren für den Deutschunterricht, wären hier zugleich Texte, Topoi und Themen.

Afrikanisches Sprechen ist heute ‚wieder da‘ als von den Bedingungen gegenwärtiger Diskurse flankierter Deutschgebrauch. Gemeint ist ein Deutschgebrauch als Mittel, über das selbstbewusstes positioning erfolgt. Voici, look here, olhe aqui, seht her: wir Afrodeutsche und Afropäer:innen artikulieren uns mit unseren selbsterlebt-biografischen und den geerbten Erfahrungen.

Sharon Dodua Otoos Roman Adas Raum exerzierte exakt dies 2021 exemplarisch durch, weswegen er auf eine Lektüreliste von aus Afrika stammend Sprechenden in Deutschland gehört; Mahamadou Famanta hat sich diesen Roman ausgewählt als ein Literatur gewordenes afropäisches Beispiel bei seinem Vortrag in Kapstadt, wie gesagt.

Zugleich enthält Otoos Roman ein kleines Skandalon, jedenfalls aus deutscher Perspektive von heute und ihrem begründeten Beachtenwollen aus einer Gleichzeitigkeit des ungleichzeitig, weil nacheinander Passierten. Auch das kann man thematisieren und zurichten für den Teil des Deutschunterrichts, der etwas einseitig, da die unmittelbaren Erfahrungshorizonte der Lernenden abdimmend ‚Landeskunde‘ heißt.

Es geht um den Ausdruck ‚Schmuckstück‘, den Otoo in ihrer Erzählung benutzt. Dreimal kommt er vor und ist als einfaches Lexem schnell hergeholt: ein kunstvoll hergestelltes und dekoratives Artefakt, das sich zur Zier an oder auf dem Körper tragen lässt. Etwas durch diese Verwendung Wertvolles. In Adas Raum wird der Begriff synonymisch benutzt für ein Armband, das in dem komplexen, zwischen verschiedenen Erzählebenen hin- und herschaltenden Roman ebenso zeitenüberdauernd auftaucht wie die titelgebende Figur.

Einmal taucht er auf als Frage‚ die sich ein SS-Mann stellt: ‚wie ein so exquisites Schmuckstück in einem Drecksloch wie Dora landen konnte‘. Dora ist der Name des Hauptlagers des KZ-Komplexes Mittelbau-Dora, in dem sich die Ada der Mitte des 20. Jahrhunderts als Häftling in der Bordellbaracke zwangsprostituiert.

Im Nazijargon war ‚Schmuckstück‘ ein Stigmawort und damit den heute zu Recht inkriminierten rassistischen Termini vergleichbar. Das SS-Wachpersonal bezeichnete damit entkräftete weibliche jüdische Häftlinge. Als Terminus, der in Otoos Roman Verwendung findet, wird er somit heikel, erlangt einen neuen Hallraum und ermöglicht auf einer nicht mimetischen, sondern metaphorischen Ebene eine andere, mutmaßlich antisemitische Lesart der ‚Dora-Kapitel‘ des Romans.

Eine solche Entdeckung ist nur möglich, wenn es ein Wissen um diese Zusammenhänge gibt und nicht nur die denotative Bedeutung von ‚Schmuckstück‘, sondern auch seine konnotative Echokammer, die von der SS erfundene verbale Scheußlichkeit, geläufig sind. Dieses Wissen-um ist in historisch sensibilisierten deutschkulturellen Kontexten eines, das vorhanden und als gebrauchsunmögliches Wort breit akzeptiert sein sollte: so wie bei allen Stigmawörtern, die mit N- oder anders anfangen auch, und ohne Ausrede.

Auch und (dort) selbst in Adas Raum wird genau das betont: ‚Unwissenheit schützt vor Strafe nicht‘.