3. Mai 2023

Mitteilen

 

Die Gegenwart ist unsere zukünftige Vergangenheit. Das müsste uns das Switchen zwischen den Zeiten zur Selbstverständlichkeit eigentlich erleichtern. Doch der Mensch muss trennen und verdrängen – mehr oder weniger notgedrungen. Aus Gründen des Überlebens. Das Paradox: Wir können nur Momente überleben, nicht aber das Leben selbst. „Mama, ich habe überlebt“, und sie: „Unglaublich“. Mit diesen Worten endet Gipis’ letzter auf Deutsch erschienener Comic, Besondere Momente mit falschem Applaus.

In 5 Erzählsträngen, auf unterschiedlichen Zeit- und Raumebenen, stellt er sich die Frage, was es bedeutet zu überleben. So erreicht das Alter-Kinder-Ego des Autors, nachdem er unbeobachtet auf das offene Meer geschwommen war, wieder das rettende Ufer, zurück zu Mama, mit der Erkenntnis, überlebt zu haben.

In der Mitte des Buchs kulminieren die Erzählstränge miteinander. Der Besuch bei seiner sterbenden Mutter mit dem Filmset einer Kriegsfilms. Einem Urmenschen, der sich nach dem Sinn des Lebens fragt, mit dem Auftritt eines Comedian, mit dem schwimmenden Kind sowie drei Astronauten, die im kosmischen Schlamm auf einem fremden Planeten ausgesetzt wurden. Letztere geraten immer wieder in schwarze Löchern, die ihnen die Erinnerung löschen, sodass ihre Expedition immer wieder von Neuem beginnt.

Bekanntlich überlebt ein Goldfisch in Gefangenschaft nur, weil er sich eine Sache eine Sekunde merken kann – so wird ihm nie langweilig. Anders beim Menschen, bei dem nehmen die Erinnerungen mit dem Alter zu, während die Kräfte schwinden.

Gipis, (bürgerlich Gian Alfonso Pacinotti, italienischer Comickünstler und Filmemacher) hat in jeder Zeit seinen Alter-Ego-Protagonisten. In der Jetztzeit, als Comedian, erfährt er, dass er unfruchtbar ist, und fragt sich. was er denn eigentlich weitergibt, wenn schon nicht seine Gene. Der Soldat am Filmset fragt sich, warum gerade er überlebt, während sein Kamerad neben ihm stirbt. Der einsame Urmensch, ohne Höhle und Keule, was er allein auf Erden soll, und sein verzweifelter Schrei dringt bis in die Gegenwart. Während die Astronauten über die Stimme der Gene, die einfach nur leben und reisen wollen, philosophieren. Das Ganze, während die Mutter des Comedian im Sterben liegt.

Was gewollt konstruiert ausschaut, wird bei Gipi zu einem organischem Ganzes. Hier wird dermaßen spannend erzählt, dass die Konstruktion in den Hintergrund tritt und der Leser ständig damit beschäftigt ist herauszufinden, auf welcher Ebene er gerade seine Empathie verschwendet – der Zukunft, Vergangenheit oder Gegenwart.

Akzeptiert man, dass die Grundprinzipien allen Lebens Anpassen und Teilen sind, wird hier, so eine metaphorische Lesart, noch ein Mit-teilen hinzugefügt. Wir geben nicht nur Gene, sondern auch Geschichten weiter. Wir pflanzen uns nicht nur fort, sondern teilen uns auch mit. Und die Kunst ist es, dies in möglichst attraktiven, in schönen Formen zu tun. Und wenn wir Glück haben, überleben die Geschichten uns. Wohl wissend, dass schön erzählte Geschichten eine bessere Überlebenschance haben. Gipi erzählt eine solche, in Wort und Bild.

Christoph Bannat

 

Eine Geschichte

Text & Zeichnung: Gipi

Übersetzung aus dem Italienischen von Myriam Alfano

Veröffentlichung: März 2022, Avant Verlag

ISBN: 978-3-96445-070-8

128 Seiten, Hardcover

22 x 30 cm, vierfarbig

28,00 €