27. April 2023

Deutsch als afrikanisierte Fremdsprache


Kapstädter Impulse

Bruno Arich-Gerz



Deutsch als afrikanisierte Fremdsprache?


Immerhin gibt es Text-Zeugnisse für so etwas und damit Material. Das lässt sich abklopfen auf seine Brauchbarkeit für interkulturelles Bildungsgeschehen und Deutsch als eine im kaiserdeutschen Kolonialismus von den afrikanischen Überfallenen zwar unfreiwillig, aber je nachdem virtuos angeeignete Fremdsprache. Hendrik Witboois Briefe und seine Tagebücher stehen für ein Deutsch, das anders als Französisch, Englisch oder Portugiesisch von der Gnade des frühen Ausscheidens Deutschlands aus dem kolonialen Sprache-ist-Machtgefüge profitierte und damit in Namibia, Togo oder Tansania keine dominante Lingua mehr war, als diese Länder zwischen 1960 und 1990 unabhängig wurden.


Witboois erhaltene Dokumente, die Proklamation aus der Feder Wilhelm Kaumunikas oder die Zeugnisse von sogenannten ‚Missionsgehülfen‘ und ‚National-Katecheten‘, die ab dem Ende des 19. Jahrhunderts von deutschen Missionarsgesellschaften als ‚Evangelisten‘ gelistet wurden wie Samuel Kariko – „Als Gefangener war ich auf dem Meer bis nach Lüderitzbucht um dort am Werke des Herrn zu arbeiten“ – sind die mutmaßlich frühesten und besonders wertvollen Texte.


Sie legen Zeugnis ab von an-, weil aufgeeignetem Deutsch als Herrschersprache der Zeit, die mit dem Ende des deutschen Kolonialismus aus eben dieser Zeit fiel, und sind damit sprachhistorisch ein Nachweis von fragwürdigem ‚Deutschsprachlebensraum im Süden‘.


Dann erscheinen sie als schlau-subversive Botschaften, die das Land in der wörtlich eigentümlichen Semantik der Besatzer re-klamieren wie die Hererofrauen in der Omahekewüste – eine Übung in Wortbedeutung und ihrer kulturellen Hintergründigkeit.


Oder, auch das lässt sich aus ihnen lesen: Sie sind nicht immer der Norm entsprechend, etwa bei der Zeichensetzung, doch funktional äquivalent zu dem, was im Nebensatz mit ‚um … zu‘ ausgesagt werden soll.


Wenn ein Samuel Kariko nach Lüderitz in das Konzentrationslager auf der Haifischinsel [ohne halbsatzfinales Partizip: gereist? gelangt? verschleppt worden?] [Komma! >] _ [<Komma!] um dort am Werke des Herrn zu arbeiten, dann kann dieser Halbsatz Anlass geben zur Sprachreflexion. Der Blick lässt sich lenken auf eine regelobsessive Wertung wie „Deutsch schrieb er mäßig gut“ (so Margarethe von Eckenbrecher in ihren Erlebnissen einer deutschen Frau in Südwestafrika. 1902–1936) oder darauf, was tatsächlich verständnisblockierend defizitär ist: ob überhaupt etwas und warum.


Einen Blick wert ist auch das afrikanisierte Deutsch in Texten aus der historisch zwar postimperialen, gesellschaftspolitisch, aber nicht wirklich postkolonial gewordenen Jahrzehnten nach den örtlichen colonial encounters in Afrika mit Deutsch als Fremdsprache. Hier findet sich ein Deutsch oder Anteilsdeutsch, das entweder durch Migration nach Europa zur zeitweiligen Zweitsprache wurde wie bei den namibischen DDR-Kindern, die in den 1980er Jahren ihr Oshideutsch kultivierten und es bis heute lieber geheim halten. Oder es ist eines, das wegen des Verbleibs von Deutschstämmigen in ihrer ehemaligen Kolonie zur Kompromisssprache (pidgin) wurde wie bei dem von Ana Deumert untersuchten Black Namibian German (Küchendeutsch) nach 1915, als sich die kolonialen Machtverhältnisse verstetigten und die afrikanischen Sprechenden weiterhin subalternisiert wurden zu Haushaltshilfskräften, die nicht mehr Deutsch beherrschen mussten als das für Küchen- und Gartenarbeit nötige. Hier beispielsweise das Afrikaanse Lehnwort für Bäckerei, das Partizip von ‚arbeiten‘ und natürlich ‚Deutsch lernen‘: „Ich hab da bei Tsumeb gearbeit, daar bei bakkery, daarwaar der brood, arbeiten. Ja, ich hetdaar gelern die Duits.“


In einen nicht Hochsprache-beispielhaften und vom literarischen Kanon dominierten Syllabus für Lehrangebote in Deutsch als Fremdsprache hineinzudenken, wären schließlich die afrikanisch autorisierten und im Original auf Deutsch erschienenen Biografien von über Kulturenpendler:innen.


In Kapstadt besprach Mahamadou Famanta die fiktive phantasmagorische Lebensgeschichte einer Ada aus Westafrika, die von der Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo über Jahrhunderte hinweg angelegt wird als afropolitische Biografie und postkoloniale Wiedergänger-Figur aus Ghana in einem Nazi-Konzentrationslager und der wiedervereinigten Berliner Gegenwart (Adas Raum, 2021). Genauso reizvoll sind die Erinnerungen von Kind Nr. 95, die 2004 von einem kartoffeldeutschen Ghostwriter getrimmt die ersten beiden Lebensjahrzehnte von Lucia Engombe als namibische Exilantin in der DDR schildern. Anders als bei den Oshideutsch-Sprechenden – den Mischsprache-Erfinder:innen aus Deutsch und Oshiwambo der 1980er Jahre, zu denen Engombe auch zählt und die heute über ihre Sondersprache keine Auskunft mehr geben möchten – ist hier das Offenbaren und sich Öffnen Programm. Trotzdem wird das Buch nicht zum geheimnisverratenden Ärgernis, weil Lucia Engombe dem federführenden Peter Hilliges nicht mehr verrät als nötig. Eine ganz andere mediale Textsorte – nämlich eine noch nicht dokumentierte und in diesem Sinn unentdeckte, doch aktuell praktizierte – sind auch gruppenidentitätsstiftende Varietäten mit Deutsch-Anteilen wie die der afrikanischen Community mit Erstsprache Wolof. Ähnlich wie Oshideutsch handelt es sich um eine Mischsprache von westafrikanischen Migrant:innen nach Deutschland, nur offenbar mit dem Unterschied, dass hier weder Gesprächsinhalte verdunkelt werde sollen noch die Inklusion-Exklusion-Unterscheidung eine Rolle spielt. Fatou Cisse Kane aus Dakar, die bei der Sommerschule 2022 in Kapstadt nicht dabei war und erst bei einer von der Key-Note-Sprecherin Anne Storch initiierten Spring School im April 2023 auftrat (und die in Köln lebt), würde eine solche Draufsicht ermöglichen.