13. April 2023

Afrika den Afrikanern! (Deutsch auch)

Hendrik Witbooi


Kapstädter Impulse

Bruno Arich-Gerz

Nach den Gewehrkugeln die Bildung. Damit unterscheidet wa Thiong’o den ersten, expansiven vom zweiten invasiven Kolonialismus. Der war einer ohne spürbare und allzu sichtbare Einstichstelle, dafür mit denselben groben Auswirkungen im afrikanischen Körper bis heute.


Die École d’Hanovre hat auf diesen kulturchirurgischen Eingriff hingewiesen, in der Interkulturellen Germanistik machte sie den Chirurgen aus und sah in einer gegenseitig effektiven, doppeltblickenden und auf jeweils beide(n) Seiten wirkenden Mischung bei der Textbetrachtung ihre Alternativmedizin.


Der Auftrag von Bildung als postkoloniale Nachfolgerin von Munition heißt also, von der seither verstrichenen Zeit kampfmittelbeseitigt, nun Entwicklung. Bildung zum Zweck von Entwicklung: Entwicklungshilfe oder, neuerdings schallgedämpfter, -zusammenarbeit. Nach allem, was bislang zur Sprache kam – zum einen das ins Subtile abgeglittene, trotzdem vorbildhafte Modell Deutschland samt Vorsprung durch Technik und Vorteil durch Sprachbeherrschung für teilhabegeköderte Afrikanerinnen und Afrikaner; andererseits der Status von Deutsch(land) als keine längst lästige politische Postkolonialmacht mehr –, lassen sich Alternativen denken zur Bildung mit und im Französischen, Englischen oder Portugiesischen, den durch ihre umgangs- und amtssprachliche Vorherrschaft langlebigeren Kolonialsprachen.


Der Vorschlag wäre also, Abschied zu nehmen von Unterrichtsstoffen und Syllabi, deren textspendende Urheber kartoffeldeutscher nicht sein könnten: Goethe, Schiller, Lessing, Gustav Frenssen und Uwe Timm (der immerhin nichts dagegen hätte, wenn man seinen postkolonialen Klassiker Morenga ergänzte mit afrikanischen Sichten auf das historische Geschehen des Deutsch-Nama-Kriegs). In Kapstadt kam in einer Panel-Diskussion die Frage auf, was auf Deutsch gelesen gehört. Offenbar, so der neugierige afrikanische Germanist, vor allem der Kanon: weiß, deutschgebürtig, männlich und schon etwas älter, weil sozialisiert mit und in der Klassik. Denkt man es weiter, gelangt man nicht nur zum üblichen Gefälle von etablierten, aber längst soziokulturell ausschnitthaften Spenderkulturschaffenden (den Geheimräten und ‚Genies‘ und Literaturnobelpreisanwärtern wie Frenssen) und ihrer rezeptiven Abnehmerschaft in der sub-saharischen Auslandsgermanistik. Man kommt auch zu einer Vorstellung von Sprache als Kultur, die irgendwie gesandt ist, homogen erscheint und sich als solche den Fremdsprache-und-Kultur-Lernenden aufstülpt.


Abschied davon zu nehmen und doch Deutsch(es) zum Lernen(den) zu bringen, könnte seinen Ausgang nehmen in Textdokumenten, die zwischen 1884 und 1915 in gezwungenermaßen angeeignetem Deutsch gehalten waren und von kolonisierten Afrikaner:innen stammten. Also von Nicht-L1-Sprecher:innen mit Deutsch als Fremdsprache (DaF), wie es inzwischen heißen würde.


Aus dem heutigen Namibia kommen dafür erhaltene, sprich im Original schriftliche oder durch Tradierung verschriftlichte Beispiele in Frage (für Ostafrika oder Togo wird es ähnliche Beispiele geben). Etwa die schlauen Briefe des Nama-Kapteins Hendrik Witbooi aus den 1880er und 1890er Jahren an die deutschen Besatzer („Mein sehr geliebter wohlgeborener Herr Dr. Göring“) oder – mit Deutsch als lingua franca – an den ethnisch anderen afrikanischen Anführer, den Paramount Chief der Herero Samuel Maharero, den Witbooi für die Beilegung eines Konflikts miteinander und die gemeinsame Sache gegen die Deutschen zu gewinnen versucht. Mit gutem Grund (und antiquarisch immer noch verfügbar) heißt die 1982 herausgegebene Sammlung dieser Schriftwechsel Afrika den Afrikanern!


Ich denke folgendermaßen, lieber Bruder. Gerade weil die große Gefahren vor uns stehen und uns bedrohen, möchte ich vor allen Dingen erst hören, daß wir zwei Kapitaine uns begrüßen, den Frieden klar beschließen und ihn, der bisher nur äußerlich beschlossen ist, bekräftigen (10. November 1892).



Zuvor, 1884, hatte es die energische mündliche Replik von Samuels Vater Maherero gegeben, die dessen Sekretär Wilhelm Kaumunika als sogenannte Proklamation – ein Begriff, den General Lothar von Trotha am 2. Oktober 1904 in seinem Vernichtungsbefehl verwenden sollte – an den kaiserdeutschen Statthalter Göring (wieder der – und ja, ‚Göring‘: es war sein Vater) in dessen Sprache schriftlich festhielt:



Proklamation, 1884

Ich, Maharero, Oberhäuptling von Damaraland, erkläre hiermit im Namen und mit meinen Unterhäuptlingen, daß die Grenzen meines Landes sind wie folgt:


1. Nach Norden das ganze Kaokogebiet bis an die Küste.

2. Nach Westen das Tsoachaub und Omarurugebiet bis an deren Mündungen;

3. Nach Süden das Rehobothersgebiet, welches ich den mit mir verbündeten Bastards eingeräumt habe,


und protestiere hiermit auf das ernstlichste gegen alle und jede Erwerbungen von Land und Mineralien in diesen angegebenen Grenzen, von wem dieser auch außer mir erwerben oder gekauft sein mogen, als gegen alles Recht und daher als völlig ungültig.


Geschrieben aus dem Munde Mahareros von dießen

Secretair

Wilhelm Kaumunika



Nach Ausbruch des Deutsch-Nama- und Deutsch-Herero-Kriegs 1904 ist schließlich ein mehrfach verstörender und wohl auch deswegen tradierter Schlachtgesang dokumentiert: „Wem gehört Hereroland? Uns gehört Hereroland!“ An diesem Ausruf fällt vieles auf, das aus der abendländischen Rhetorik bekannt ist, etwa die Figur der Hypophora: eine Frage wird von der oder dem Fragenden umgehend selbst beantwortet.


In einer L2-Deutsch-lernenden Kultur im Subsahara-Afrika, um die es hier geht, gibt es keine altphilologische Hypophora, aber etwas Artverwandtes. „Wem gehört Hereroland? Uns gehört Hereroland“ ähnelt syntaktisch einer Zeile in einem Otjiherero-Lied über die Rinderpest von 1897: „Orendepesa yo nnaa hwii kau i i [?] Nu rendepesa yo oyo ozongombe zaKatjimune ozondwezu zomaambi huu“. [Rinderpest […] ihr kennt sie nicht [?] Nu [= Ausruf] Rinderpest yo oyo die Rinder des Katjimune, die männlichen Tiere mit den (kräftigen) Schulterblättern huu!].


Wenn man beides nebeneinanderlegt, Wem gehört – uns und Rinderpest kennt ihr nicht? – Hier ein übles Beispiel für Rinderpest!, dann lässt sich DaF auch mit authentischem L2-Deutsch, verwendet in der Kolonialzeit von nicht nur sprachlich Kolonialisierten, ganz gut vermitteln. Siehe die selbst nach abendländischen Maßstäben rhetorisch meisterlichen Briefe Hendrik Witboois an deutsche Kolonialherren und afrikanische Mitkolonialisierte.