ZUCKER
Von Wolfgang W. Timmler
Gestern bin ich den ganzen Tag draußen rumgelaufen. Ich habe dann geschlafen wie eine Ratte. Wissen Sie überhaupt, wie eine Ratte schläft? Nicht? Nun, die Augen zu. Als Erstes habe ich eine halbe Flasche Wasser ausgetrunken. Ich trinke ja sonst nicht mehr als zwei Gläser hintereinander. Zusammen mit dem Kaffee komme ich täglich so auf meine zwei Liter. Ich habe es schon ausprobiert, aber das Messen liegt mir nicht. Wenn zwei Flaschen Mineralwasser leer sind, dann sind sie eben leer. Die Beine werden jetzt auch nicht mehr dick. Wenn ich früher lange gesessen bin, dann sind sie gleich angeschwollen. Stützstrümpfe kann ich nicht leiden. Die drücken alles zusammen, und es bildet sich wieder Wasser. Ich trage ganz normale Strumpfhosen aus dem Supermarkt. Ich hatte auch schon teure aus dem Geschäft, aber als ich die dreimal anhatte, dachte ich, das darf doch nicht wahr sein, selbst da gibt es Laufmaschen. Ich habe dann im Geschäft angerufen.
"Bringen Sie uns die Strumpfhose doch zurück", sagte die Verkäuferin. "Wir tauschen Sie Ihnen gerne um."
Ich habe es dann doch nicht gemacht. Es hätte auch nichts gebracht. Ich meine, ich hatte sie nur dreimal an. Es konnte vielleicht auch durch einen Fingernagel passiert sein. Seitdem kaufe ich meine Strumpfhosen nur noch im Supermarkt. Billig hält genauso lang, nicht? Im Supermarkt habe ich auch gesehen, wie sich eine ältere Dame so einen ganzen Korb voll Lebensmittel gekauft hat, vier Gläser Spargel, dazu noch dies und das. An der Kasse habe ich sie dann angesprochen.
"Sagen Sie mal, warum kaufen Sie denn so viel ein?"
Die Dame wohnt über dem Supermarkt, hat Fahrstuhl und kauft jede Woche so einen Wagen voll ein. Schlimm, nicht? Vier Gläser Spargel, was will sie damit? Sie lebt alleine und ist nur ein Jahr älter als ich. Ja, das ist doch Quatsch. Ich wüsste gar nicht, wohin ich die ganzen Sachen stecken würde. Eine Dose Eintopf, davon esse ich drei Tage. Ich mache die Dose mit so einem Dings auf, das ist nicht elektrisch und dauert halt etwas länger. Ich kaufe mir auch schon lange nichts mehr auf Vorrat. Wenn mal jemand vorbeikommt, dann kann er sich schnell was holen. Als meine Nichte mich letzthin besuchte, habe ich sie zum Konditor geschickt, aber sie ist nur bis zum Supermarkt gegangen und hat sich dort einen Packung Waffeln und eine Tafel Diätschokolade gekauft.
"Weißt du was, Christa?", sagte ich zu ihr. "Das isst du mal schön selbst. Ich habe hier meine Kekse. Wärst du ein Stückchen weiter gegangen, zum Konditor, dann hättest du dir einen richtigen Kuchen aussuchen können."
Wenn ich Lust habe, dann esse ich auch mal eine Diabetikerschokolade, aber da muss ich schon großen Appetit haben. Ich habe auch Kekse zuhause, falls mal überraschend Besuch kommt, aber Christa mag keine Kekse. Was soll's? Sie ist siebenundfünfzig und nicht mehr zu ändern. Sie war nicht mal eine Stunde bei mir. Ich dachte, sie würde länger bleiben, aber sie ist gleich wieder weg. Wir haben uns gar nicht richtig unterhalten können.
Gestern haben wir so ein Stückchen Diabetikerkuchen gekriegt. Das schmeckte nach gar nichts. Das war wie Schaum. Vorgestern gab es Reis mit Hühnerklein, Hühnergulasch und so ungeschältem Reis. Den Reis habe ich stehen lassen. Den habe ich gar nicht gegessen. Und dazu gab es ein Stückchen Fleisch in so einer Mehltunke. Schrecklich. Das hat mir überhaupt nicht geschmeckt.
Christas Vater war wahnsinnig jähzornig. Ich habe von ihm mal eine geknallt gekriegt. Schlimm. Da war Christa noch nicht geboren. Bums! Erst kriegte meine Schwester Hilde so eine geknallt, dass sie gleich hinfiel, und dann kriegte auch ich eine geknallt, und dafür musste sich mein Schwager später bei mir entschuldigen, aber bloß bei mir, nicht bei meiner Schwester. Seltsam, nicht? Das Ganze liegt jetzt schon Jahre zurück. Mein Schwager war schrecklich jähzornig. Als ich das Schwesternexamen bestanden hatte, feierten Hilde und ich ein bisschen im Schwesternheim, und später stieß auch mein Schwager zu uns. Ich hatte für uns ein paar Gläser aus der Kantine geholt, Weingläser und Kognakgläser. Nun kam ich an, machte die Zimmertür auf, - irgendwie hatten sich Hilde und er wohl gestritten, - und bums!, kriegte sie eine geknallt, ja, so ganz unverhofft. Mein Schwager war schrecklich jähzornig, und als Hilde gestorben war, hatte ich gleich eine Heidenangst gekriegt. Nach dem Dienst habe ich mich immer auf der Straße rumgetrieben, denn mein Schwager wollte immer zu mir kommen, aus Sehnsucht, weil ich meiner Schwester doch so ähnlich sah, ja. Mein Schwager bekam dann Lungenkrebs. Er hatte zu viel geraucht. Es gibt welche, die rauchen nicht und kriegen auch Krebs. Hilde hat nie geraucht, aber sie ließ sich mal im Atelier so mit Zigarette in der Hand photographieren. Früher gab es doch die langen Zigarettenspitzen für Damen. Das Photo sah gut aus. Hilde zeigte es unserer Mutter, und bums!, kriegte sie eine. Die Schläge hat Hilde auch nie vergessen. Merkwürdig, nicht?
Das Krankenhaus hier wollen sie im nächsten Jahr schließen. Schuld ist nur der Vater Staat. Warum lässt er alle Krankenhäuser schließen und bloß noch eines oder zwei offen? Das ist ein gutes Krankenhaus hier. Wahrscheinlich kommt das Personal in ein größeres Krankenhaus, aber alle kleineren Häuser zu schließen, bringt doch nichts! Im Café hatten sie auch Unterschriften für das Krankenhaus hier gesammelt, aber die Politiker machen doch sowieso, was sie wollen! Ob ich unterschreibe oder nicht, ist denen doch egal.
Gestern habe ich mir hier eine Sendung angeschaut. Sie haben einen jungen Mann gezeigt, also, der konnte sehr gut reden. Er sah hübsch aus und war so geschickt mit seinen Füßen. Er konnte die Tür aufmachen mit einem Fuß und auch den Wasserhahn aufdrehen. Seine Frau war ganz normal. An ihr war alles dran. Sie geht arbeiten, und er macht alles zuhause. So kommen beide ganz gut durchs Leben, aber ich frage mich, wie geht es wohl jemandem, der ganz auf sich allein gestellt ist? Ach, es gibt so viel Elend auf der Welt! Und die Firmenchefs sind nicht mal bestraft worden, als rauskam, dass das Schlafmittel doch nicht so harmlos gewesen ist. Schlimm. Später haben die Opfer eine kleine Entschädigung gekriegt, aber das bisschen Geld reicht bei vielen nicht mal für die Pflege. Schlimm, nicht?
Bei uns um die Ecke wohnt auch so eine junge Frau, die ich ab und zu im Park treffe. Sie hat solche Stummel, aber bei ihr sind noch Hände dran, also die Finger. Sie hat auch immer einen Hund bei sich. Einmal war ihr was runtergefallen, und ich wollte es ihr aufheben, aber da hatte es schon der Hund getan. Später habe ich sie dann mit zwei Hunden im Park gesehen.
"Nanu, haben Sie sich noch einen zugelegt?"
"Nein, mein Rex wird alt", sagte sie, "und Hasso muss erst noch alles lernen."
Hier müssen Sie mir auch Medikamente mitgeben für zwei, drei Tage. Das sind ganz andere Medikamente. Meine alten gebe ich der Apothekerin zurück. Was soll ich damit? Morgen gehe ich nach dem Frühstück, sobald meine Papiere fertig sind: Weg bin ich! Früher habe ich immer im Krankenhaus gegessen und dann abends zu Hause für meinen Mann gekocht.
Nun stellen Sie sich aber vor, was mir nach dem Besuch von Christa passiert ist! Ich knalle die Wohnungstür zu, und der Schlüssel steckt innen. Der Hauswart hat mir schon mal aufgemacht, doch an dem Tag war er nicht da, und nun hätte ich den ganzen Nachmittag draußen stehen müssen. Irgendjemand im Haus hätte mich schon aufgenommen, aber dann habe ich meinem Nachbarn gebeten, und Herr Bruhn hat die Tür auch wirklich aufgekriegt. Erst hat er es mit so einer Scheckkarte versucht, aber die Scheckkarte war zu alt, schon zu weich, und dann hat er es mit so einem Dings probiert, mit so einem Malerdings, und jetzt war an der Tür vorne so das blanke Holz zu sehen. Der Hauswart hat sich das später angeguckt und dann graue Farbe drübergepinselt, na ja, besser als gar nichts.
Die Hauswartsfrau hat auch tüchtig zugelegt. Wenn die bloß nicht so schlampig wäre, nein, so eine Hauswartsfrau hatten wir noch nie. Sie sieht immer aus, als ob sie in anderen Umständen wäre, und dass sie sich nicht die Haare schneiden lässt, schrecklich! Der Hauswart sieht auch nicht viel besser aus. Und dann hat er immer einen Kaugummi im Mund. Nein, so einen Mann möchte ich nicht haben, nein, dann soll er lieber eine Pfeife rauchen, aber nicht so einen Kaugummi kauen. Das ist doch ein Laster. Er hat auch fast keine Zähne mehr im Mund. Ich habe ja auch keine mehr, aber ein bisschen sollte man schon auf sich achten. Der Mensch muss sich bewegen, sonst rostet er ein und wächst rückwärts, was mein Nachbar ja nicht glauben will.
"Sie laufen viel zu viel, Frau Kohler."
"Ich nehme ja nicht die Marathonstrecke", sage ich, "ich drehe nur eine Runde auf dem Friedhof."
"Dort sind doch keine Menschen."
"Ich bin doch da, Herr Bruhn."
"So habe ich das nicht gemeint."
Mein Nachbar hockt nur noch vor dem Fernseher. Dreiundsiebzig Quadratmeter hat er. Ich habe einundfünfzig. Er hat mir seine Wohnung mal gezeigt. Die Diele ist wie eine finnische Sauna. Alle Wände sind mit Holz verkleidet. Im Wohnzimmer hat er einen Couchtisch und einen Esstisch mit vier Stühlen stehen. Dabei lebt er ganz alleine. Dann hat er mir das Schlafzimmer gezeigt. Das musste ja sein. Das Schlafzimmer ist etwas kleiner als das Wohnzimmer, aber mit Doppelbett. Wenn ein Ehepaar getrennt schlafen will, rutscht er nach rechts und sie nach links, aber ein alter Junggeselle in einem Doppelbett, das ist doch wirklich Angeberei! Er hat keine Frau und auch keine in Aussicht, vorläufig jedenfalls nicht. Und das kann ich nun gar nicht verstehen. Da bin ich wieder eigen. Im Wohnzimmer hat auch eine Couch stehen, so ein speckiges Ding, das er einmal im Monat selbst sauber macht.
"Herr Bruhn, da kommt jemand und reinigt Ihnen die Couch", sage ich zu ihm.
Ich habe ihm sogar die Adresse gegeben, aber er will das Polsterding lieber selbst sauber machen, was soll's? Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Er leidet schon und hat Angst, dass er irgendwann mal hinfällt. Das sind die Durchblutungsstörungen im Kopf. So was habe ich noch nicht. Ich weiß gar nicht, wie das ist, wenn man hinfällt, aber ich muss schon sagen, hier habe ich mich doch ganz gut erholt. Einige Zeit werde ich der Welt wohl noch erhalten bleiben, auch weil ich nur ganz wenig geschwindelt habe, nur ab und zu mal eine kleine Notlüge, was ja nicht verboten ist. Ach, da kommt ja mein Freund. Achim hat heute Spätdienst. Achim ist auch sehr nett. Sehen Sie, manche Namen behalte ich im Gedächtnis.
"Einen wunderschönen guten Tag, Frau Kohler."
"Guten Tag, Achim. Achim, ich habe heute noch nicht inhaliert. Machst du mir mal Tropfen rein, ja? Und mach' gleich so viel, dass ich später noch mal kann."
"Mach' ich."
"Ich inhaliere auch gleich."
"Alles klar, Frau Kohler."
"Gut, danke."
Der Achim ist ein netter Kerl. Ef-Es-Jott. Hier machen viele Ef-Es-Jott. Zivil hieß das mal früher, Zivildienst. Ständig ändern sie die Namen, und am Ende weiß keiner mehr, wie es eigentlich richtig heißt, na ja. Und gestern hat der Robert Spätdienst gehabt. Der hat morgen wieder Spätdienst. Der Robert ist auch nett und hat so ehrliche Augen, ja, Sie lachen, aber ich habe gute Menschenkenntnisse.
"Guten Tag."
"Guten Tag, Schwester Hannah."
"So, da wollen wir mal schauen, Frau Kohler."
"Sie werden mich übermorgen vermissen, Schwester Hannah."
"Auf jeden Fall. Von Ihrer Sorte brauchten wir mehr."
"Wenn Sie mal Notdienst haben, können Sie mich anrufen, dann komme ich helfen."
"Das kann ich mir gut vorstellen. So, welchen Finger darf ich nehmen?"
"Den da. Der ist sauber."
"Ich habe doch den Alkohol. Also, den oder den?"
"Den."
"Den Ringfinger also."
"Nur zu!"
"Ich muss erst zielen. So. Können sie mal die Hand andersrum? Nein, so. Wunderbar."
"Es ist noch kein Blut da."
"Es kommt aber. Ich melke mir das schon raus. So, ein dicker Tropfen. Dankeschön. Das dauert noch einen Moment. Wenn man darauf wartet, sind zwei Minuten ewig, aber wehe, man sollte etwas in zwei Minuten fertig haben. Hundertsieben."
"Kann ich den Tupfer da schon draufmachen?"
"Aber ja doch. So, das war's schon, Frau Kohler. Zieht es Ihnen hier nicht? Dann will ich das Fenster lieber mal zumachen."
"Vielen Dank, Schwester Hannah."
"So. Auf Wiederseh'n."
"Auf Wiederseh'n."
Ich sehe die Gardinen gerne, so von der Ferne, da bin ich immer ganz verliebt. Ich habe mir früher alle fünf Jahre neue Gardinen gekauft. Ich hatte so einen Tick. Jedem seines. Ich habe immer die bodenlangen Gardinen gehabt. Ich war richtig verliebt in die, aber wenn man nicht mehr kann, dann kann man nicht mehr. Man muss sich trennen können. Ich habe auch alle meine Bücher verkauft. Eigentlich wollte ich sie der Christa geben, aber solche Sachen liest sie nicht. Moderne Zeiten eben. Als ich jung war, konnte ich mit so alten Tanten, wie ich jetzt eine bin, auch nichts anfangen. Früher habe ich viel gelesen, aber im Alter lässt das alles nach. Was soll's?
Ich hatte mal einen Theaterdirektor zu massieren. Der hatte die Schränke auch voller Bücher. Schrecklich, da Staub zu wischen. Der Theaterdirektor ließ extra zwei Studenten dafür kommen. Sie mussten die ganzen Bücher ausräumen und den Staub abwischen und wieder einräumen. Seine Frau war Schauspielerin gewesen, an sich hässlich, so verschrumpelt, dabei war die noch gar nicht so alt. Die Haare hatte sie sich gefärbt und ließ sich auch eine Schönheitsoperation machen. Ein Ohr war länger, und das andere war kürzer. Na ja, wenn die Leute zu viel Geld haben. Sie war nicht hübsch und auch so ein bisschen knochig, so überschlank. Ich war eher voller. Die Operation ließ sie heimlich machen. Für den Theaterdirektor sollte sie auf Reisen sein. Er ging auch schon sehr gebeugt, und kaum war er gestorben, wollte sie mit der Haushälterin und mir verreisen.
"Kinder, jetzt schauen wir uns die Welt an!"
Nun ja, die starb ihm bald hinterher. Der Theaterdirektor hatte eine Tochter aus erster Ehe, und wenn die Tochter zu Besuch kam, sperrte sich die Frau immer ein. Er ließ mich dann holen, und ich musste mit ihr reden. So ein Theater! Nein, die Frau war nicht hübsch. Und die Tochter war ja berechtigt, ihren Vater zu besuchen. Der Theaterdirektor kam aus Dresden, und seine Haushälterin, die Käthe, hatte dort eine Bekannte, die ihnen das ganze Tafelsilber nachschicken musste, weil der Theaterdirektor alles stehen und liegen lassen hat vor der Flucht in den Westen, und nun stellen Sie sich mal vor, es kam auch immer alles hier an.
Die Käthe wusste, dass ich gerne Kaffee trinke, und da hat sie die Bohnen, das war damals eine schlimme Zeit, zehn Bohnen für eine Tasse abgezählt. Und dann hat sie noch welche zusätzlich reingetan. Da habe ich mich manchmal köstlich amüsiert. Später konnte die Käthe nicht mehr und hat aufgehört. Der Theaterdirektor hat ihr jemand zur Hand gegeben, aber das gefiel der Käthe nun gar nicht, und sie ist gegangen. Und nun stellen Sie sich vor, als sie sich arbeitslos melden wollte, kam heraus, dass der Theaterdirektor nicht geklebt hatte für sie. So eine Frechheit! Ich habe mir gedacht, na, du bist ganz schön gerissen; die Käthe hat es erarbeitet, und du gibst es aus. So sind die Leute vom Theater, nicht? Letzthin klingelte bei uns einer, vor vierzehn Tagen war das, erst hat er oben geklingelt, dann bei mir.
"Haben Sie was gegen Sachsen?"
"Was ist denn?", sagte ich.
Ich höre doch schlecht, aber das konnte der Mensch ja nicht wissen.
"Haben Sie was gegen Sachsen?", sagte er. "Ich komme aus Leipzig. Ich bin Sachse."
"Was soll ich denn gegen die Sachsen haben? Ja, das sind genauso Menschen wie wir. Um was geht es eigentlich? Ich will mich nicht mit ihnen über Volksstämme unterhalten."
"Haben Sie altes Möbel? Ich kaufe altes Möbel auf."
"Ich habe schon alles weggegeben, was ich nicht mehr brauche."
"Brauchen Sie vielleicht einen Teppich?"
"Nein, einen Teppich werde ich mir jetzt nicht mehr kaufen. Da können Sie mit mir kein Geschäft machen."
Und dann hat er es gemerkt und ließ nach, und mein Nachbar hat die Tür auch gleich wieder zugemacht. Das hat mich auch noch keiner gefragt, ob ich was gegen Sachsen hätte.
"Um was geht es denn eigentlich?"
Und dann kam er raus mit der Sprache. Ich hatte noch einen Wohnzimmertisch und vier Stühle. Beim Tisch waren die Beine so geschwungen, und ich hatte ihnen immer Wollstrümpfe übergezogen, damit der Lack geschützt war. Das Holz war so fein poliert, wie die Leiste hier hinterm Bett, aber anders, noch heller, und wenn die Sonne schien, dann waren immer so goldene Streifen auf der Wand.
"Schöne Möbel haben Sie hier."
"Ich habe sie auch danach behandelt und immer schön abgedeckt."
"Da traut man sich gar nicht, bei Ihnen Platz zu nehmen?"
"Ach, Sie können sich bei mir hinsetzen, wo Sie wollen."
Der Theaterdirektor hatte auch viele schöne alte Möbel. Erst war er aus der Kirche ausgetreten. Er war katholisch. Und dann hat er der Kirche die Villa vermacht, damit er bloß christlich beerdigt wurde. So ist das bei den Katholiken. Er hätte ja eingeäschert werden können, aber er wollte am Stück begraben sein. Und einmal war so ein furchtbarer Platzregen. Ich war richtig pitschnass. Ich hatte meinen weißen Kittel da, aber wenn mir die Käthe nicht mein Kleid aufgebügelt hätte, dann hätte ich mir bestimmt was geholt, so pitschnass wie ich damals gewesen bin. Und wenn ich mal nicht konnte oder etwas dazwischen kam, dann meckerte der Theaterdirektor gleich los. In der Hinsicht war er ein kleiner Teufel. Und die Studenten mussten seine ganzen Bücher abstauben. Ach, gehen wir vielleicht nach nebenan? Im Besucherzimmer ist jetzt alles frei.
"Wo nehmen Sie Platz?"
"Hier."
"Haben Sie jetzt eine neue Zimmernachbarin gekriegt?"
"Was haben Sie gesagt? Ich höre Sie gar nicht."
"Sie hören mich nicht?"
"Nein, ich höre Sie nicht."
"Hören Sie auf der Seite gar nichts mehr?"
"Links gar nichts, nur rechts. Ich muss immer so suchen und von den Lippen ablesen. Ich meine, ich höre schon manchmal. Es kommt drauf an."
"Dann muss ich mich hierhin setzen."
"Ach so, da haben Sie auch wieder recht. Sehen Sie? Ich sitze wieder verkehrt."
"Nein, ich."
"Ja?"
"Ich sitze verkehrt."
"Ja, hier höre ich Sie besser."
"Haben Sie eine neue Zimmernachbarin?"
"Ja, aber bei ihr stimmt es oben nicht ganz."
Ich meine, man muss doch Spaß verstehen, oder? Seit gestern redet sie. Ich habe sie angesprochen.
"So geht es doch nicht weiter, Frau Markowski!"
Ich habe mir gedacht, jetzt wirst du sie mal ansprechen, vielleicht wird sie wieder ein bisschen. Es ist schlimm, nicht? Frau Wollschläger ist Donnerstagmorgen nach Hause gegangen, und Frau Markowski kam Donnerstagabend rein.
Die Blumenvase hier nehme ich weg. So kann ich den Flur besser sehen. Die Putzfrauen arbeiten heute alle mit Gummihandschuhen. Das kannte man früher gar nicht. Es ist interessant. Eine wischt trocken, und dann wird von der anderen noch einmal feucht nachgewischt. Sie haben solche Tücher und legen die ins Wasser. So praktisch ist das. Wenn sie nur zu zweit sind, dann haben sie aber auch zu tun. Die Station hat über dreißig Betten, und alle sind belegt.
Einer. Nun, wann war das? Gestern? Da kamen hier alle angerannt. Auch der Doktor musste laufen. Den Bypass hatten sie da schon weggebracht. Das ging blitzschnell. Wie alt war der? Achtundsechzig. Wir gingen manchmal zusammen spazieren, aber er bekam schlecht Luft. Wir gingen immer den Flur rauf und runter. Er war sehr nett. Steuerberater. Das Stück für den Bypass wird unten am Bein rausgeholt. Er hatte mir auch den Schnitt gezeigt.
Und dann ist noch eine neue Patientin da, die hat, was hat die denn? Die ist operiert worden, nicht den Herzschrittmacher. Die Patientin hat was anderes gekriegt. Die Patientin ist noch jung. Fünfundvierzig Jahre. Sie liegt ganz hinten. Am Donnerstagabend hatte mich auch die Nachbarin von meiner Nichte angerufen.
"Denken Sie sich nur", sagte sie, "ihre Nichte hat mir heute das ganze Geld zurückgegeben, Frau Kohler."
"Glauben Sie mir, Frau Schultz-Krause", sagte ich, "morgen geht die Christa sich gleich wieder was borgen, bei Ihnen oder woanders."
Schlimm, nicht? Christa ist jetzt siebenundfünfzig und geht dauernd pumpen, und dann kauft sie sich im Kaufhaus solche Kinkerlitzchen, die sie nicht braucht. Man darf ihr kein Geld geben. Das bringt überhaupt nichts. Es ist schlimm, aber sie kann auch nichts dafür. Und bei mir hat sie sich bis heute nicht gemeldet, obwohl Frau Schultz-Krause ihr einen Zettel durchgesteckt hat, dass ich im Krankenhaus bin.
Zu Schwester Ji-Won habe ich vorgestern gesagt, ich komme sie nächste Woche mal besuchen. Es sind jeden Tag andere Schwestern hier. Schwester Ji-Won ist heute drüben. Sie hatte die ganze Woche Spätdienst. Gestern hat sie frei gehabt, und heute ist sie drüben, auf der anderen Station. Schwester Ji-Won ist sehr, sehr korrekt. Manche gehen einfach drüber hinweg, und manche sind sehr korrekt. Die Krankenschwester, die das Essen austeilt, hatte ich auch mal um eine Scheibe Wurst gebeten. Wann war denn das? Vorgestern? Könnte sein, ja. Sie kam auch sofort und brachte sie mir, und genauso war es mit dem Ei. Heute habe ich eine Scheibe Wurst zusätzlich gekriegt. Frau Markowski hat ihre liegen lassen. Sie kriegt auch Butter, aber sie isst keine. Jetzt habe ich im Schrank eine ganze Vorratskammer mit Marmelade, Streichkäse, Butter. An sich ist das Frühstück reichlich und das Abendbrot auch. Zu der Krankenschwester sagte ich, sie könnten ruhig mal das Brot wechseln. Ich habe auch meine Margarine gefordert. Und die Schwester hat mir gleich welche gebracht. Man muss die Leute ansprechen, nicht? Ich kriege auch jetzt eine Tasse Milch oder Buttermilch als zweites Frühstück. Mir genügt das. Ich trinke morgens, wie ich es gewohnt bin, meine zwei Tassen Kaffee, und wenn die Krankenschwester zu früh abräumen will, dann sage ich ihr das auch. Dann lässt die Schwester alles noch stehen. Es ist ja auch nicht viel bei mir.
Und es wird jeden Tag gewischt, die Zimmer und auch die Nachttische. Hier im Besucherzimmer werden sie heute nicht wischen. Hier ist es sauber, aber im Zimmer staubt doch das Bettzeug so. Die Laken und Bezüge werden auch jeden Tag gewechselt. Wissen Sie, an sich braucht man sich gar keine Wäsche mitzubringen. Man kriegt hier einen Bademantel, einen weißen. Ich meine, ich bin ja ganz unverhofft hier eingeliefert worden, aber es ist schön, dass Sie mir den Morgenrock gebracht haben, sonst hätte ich einen weißen Bademantel gekriegt. Ich finde, wenn man die eigene Wäsche anhat, ist es besser. Den Morgenrock muss ich morgen gleich waschen. Ich habe ja noch den grünen zuhause.
Das Duschen werde ich vermissen. Ach, das hat mir schon Spaß gemacht hier. Man kann sich so schön festhalten, und die Schwester kommt und reibt einem den Rücken ein mit Kampferspiritus. Ich muss ehrlich sagen, es hat sich gebessert. Ich habe mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt. Erst dachte ich, die Ausstrahlungen wären Rheuma, aber die Schmerzen sind jetzt weg. Der Rücken tut mir noch ein bisschen weh, aber lange nicht mehr so wie vorher. Das Inhalieren behalte ich bei, dreimal am Tag. Das ist wichtig für mich. Gestern meinte der Doktor, ich soll mich immer schön warm anziehen. Ich muss einen dicken Pullover anziehen, aber ich darf mich auch nicht einmummeln. Das ist auch wieder nichts.
Ich muss mal gucken, ob ich im Schrank noch Winterschuhe habe. Ich habe viele Sachen schon weggegeben. Warme Socken habe ich noch. Die Socken habe ich mir rausgenommen und in den Nachttischkasten gelegt für den Fall, dass es kalt wird. Ich habe auch Bettschuhe, aber die brauche ich nun gar nicht. Die Hauptsache ist, ich habe was auf dem Kopf. An den Füßen friere ich nicht. Ach, das wird schon wieder gehen. Wenn ich noch ein Jahr mache oder ein halbes, dann ist das angenehm. Ich habe mich gestern auch schon angezogen, meinen grauen Rock, den Sie mir gebracht haben, die lila Bluse und die Strickweste. Ich weiß nicht, ob ich hier essen werde oder nicht. Ich habe zuhause Püreekartoffeln und ein Glas Rotkraut. Das reicht doch. Ich kann auch hier darauf verzichten. Wenn ich meine Papiere habe, dann kann ich gehen.
Frau Wollschläger musste am Donnerstag warten. Ach, die war an sich nett gewesen, und Frau Markowski habe ich mir auch schon gezogen. Jetzt spricht sie. Es ist besser, ein Wort miteinander zu wechseln, nicht? Wenn man schon zusammen in einem Zimmer liegt und kein Wort miteinander spricht, dann ist das doch nicht gut, oder? Und die andere Patientin, die mit dem Herzklappenfehler, die geht übermorgen nach Hause. Die ist auch nett. Eine junge Frau, noch in den Vierzigern. Es ist interessant. Herzklappenfehler operieren konnte man früher nicht. Es schreitet immer weiter voran in der Medizin. Und der Bypass wollte übernächste Woche nach Hause.
"Ich komme Sie morgen besuchen, Frau Kohler", sagte er noch zu mir.
Er hatte mir auch den Schnitt gezeigt, wo sie die Vene rausgenommen haben. Vorgestern hatte ich ihm noch eine Banane besorgt. Man muss den Menschen umsorgen, nicht? Seine Frau macht den Haushalt, und er hatte sein Büro zuhause. Steuerberatung. Damit verdiente er sein Geld.
"Ich muss nach Hause", sagte er noch zu mir. "Meine Kunden warten."
Ja, so schnell kann es gehen, aber im Café werden sie sich freuen, dass sie mich wiedersehen. Nun denken die vielleicht, ich könnte nicht, auch wenn ich wollte. Ich habe heute schon das Geschirr abgeräumt, auch das von Frau Markowski. Ich betätige mich wieder. Das ist von den Schwestern auch alles nicht zu schaffen. Das sind über dreißig Betten. Ich habe einen Wagen genommen, alles raufgestellt und nach vorne gebracht.
Heute werde ich noch Frau Wollschläger anrufen und ihr erzählen, wie enttäuscht ich von ihr bin. Am Morgenrock hat sie mir einen Knopf angenäht, aber den hat sie nicht schön angenäht. Ich musste staunen, was die Leute, die öfters im Krankenhaus sind, was die alles bei sich haben, Nähzeug und alles. Frau Wollschläger war bestimmt schon über zwanzig Mal im Krankenhaus. Sie hat auch so ein ganz inniges Verhältnis zu ihrem Sohn. Das ist ein Süßer. Das hat sie mir selbst erzählt. Er kam mir schon gleich ein bisschen so mädchenhaft vor. Und nun hat es Ärger zuhause gegeben. Der Sohn hat sich hier bei der Mutter beschwert, und sie hat ihm versprochen, mit dem Vater zu reden. Als der Sohn gegangen war, hat sie gleich zuhause angerufen.
"Das hat doch keinen Zweck, Frau Wollschläger", sagte ich noch, "davon steigt bloß der Zucker bei Ihnen."
Der Sohn arbeitet bei der Feuerwehr, also, mal ist er vierundzwanzig Stunden im Dienst, mal hat er wieder den ganzen Tag frei, und dann hat sie mit ihrem Mann über eine halbe Stunde gesprochen und ihm auch ein paar Worte gesagt, schließlich ist es auch ihr Sohn, nicht? Und sie hat, so was habe ich zum ersten Mal gesehen, wie sagt man dazu? Nicht Batterie. So einen Gurt hatte sie um. Die Pumpe. Sonst macht man das beim älteren Menschen nicht mehr. Sie hatte eine Pumpe. Dafür hat die Oberärztin gesorgt und hier alles den Studenten ganz genau erklärt. Frau Wollschläger muss am Tag fünfmal spritzen, aber nur kleine Einheiten. Sie kann alles essen. Ich habe gestaunt, was sie alles zusammenisst. Solche Kugeln hat sie an den Armen. Und sie hat auch Krebs gehabt. Die Brust ist weg, aber das fällt nicht auf. Sie ist oben glatt, aber sonst ist sie ganz schön bepackt. Sie hat auch eine Perücke. Ich meine, es fällt bei ihr nicht weiter auf, aber sie könnte auch mit ihren kurzen Haaren gehen, oder sie müsste die Haare ein bisschen länger wachsen lassen. Das hat sie alles gekriegt durch den Brustkrebs. Da gehen einem die Haare aus. Und am Donnerstag hat sie das Essen stehen lassen, weil sie die Tasche schon gepackt hatte. Sie hat eine große Tasche bei sich gehabt. Erst war sie für ein paar Tage auf der Inneren mit den Nieren, und dann war sie für ein paar Tage hier auf der Station.
"Sie haben aber lange gesprochen, Frau Wollschläger."
"Das zu schlichten, musste einfach sein."
Wie alt ist ihr Sohn? Einunddreißig Jahre, und immer mit den Eltern zusammen, und dann die Gerechtigkeit zwischen Vater und Sohn, aber der Sohn kann ja nichts dafür. Ein schwarzes Schaf ist immer in der Familie bei so vielen Kindern, ach Gott, was heißt so viel? Es ist ja nur eines.
Dieses Jahr ist auch meine Schulfreundin gestorben. Achtundsiebzig ist sie geworden. Sie war mit einer Reisegruppe unterwegs und ist im Hotel ganz ruhig eingeschlafen. Schöner Tod, nicht? Sie brauchte sich nicht zu quälen. Sie hätte vielleicht später mal einen Schlaganfall gekriegt. Ihr Blutdruck war über zweihundert zu hundertzehn. Sehr hoch. Mein Blutdruck ist mal ein bisschen niedriger, mal höher. Es ist alles Schicksal. Wenn sie im Fernsehen sagen, wieder einer tot, wieder so und so viele tot, dann wird es mir richtig Angst, wenn ich das höre. Es gruselt mich richtig, wenn der Sprecher sagt, wieder dreizehn Tote, wieder so und so viele Tote. Dann wackelt es mir richtig in den Knien, aber hier sind alle sehr nett, ob das die Ärzte sind oder die Schwestern. Ich kann mich nicht beklagen, nein, das wäre eine Schande.
Meine Schulfreundin ist oft ins Theater oder ins Konzert gegangen. Einmal hatte sie eine Karte übrig und rief mich an. Ich habe mir gedacht, ein Konzert ist nicht schlecht, aber dann war ich doch enttäuscht. Lauter ging es nicht mehr. Spanische Flamencotänze. Ich habe mich gefragt, warum klatschen denn alle und schreien so? In der Pause bin ich raus. Um dreiviertel zehn war ich zuhause. Ich hätte vielleicht auch geklatscht, wenn ich jünger gewesen wäre, aber in meinem Alter? Nein.
Wann ist denn meine Schwester gestorben? Vor neunzehn Jahren. Sie war noch nicht sehr alt. Einundsiebzig. Hilde hatte blondes Haar und blaue Augen. Ich habe braune Augen, und unsere Mutter hatte so graue Augen wie die Eulen, nein, die Eulen haben ja gelbe Augen. Über mich können Sie noch lachen, nicht? Hilde hat immer die Schläge abgekriegt, weil sie die ältere war. Das weiß ich noch. Da war unser Vater manchmal böse auf die Mutter. Sie hat große Unterschiede gemacht. Schlimm. Ich könnte mich heute noch wütend ärgern über unsere Mutter.