Schrei der Hyäne
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck reist nach Namibia, um Deals mit grünem Wasserstoff einzutüten. In der ehemaligen deutschen Kolonie kennt er sich besser aus, als viele denken.
Arabella war die Erste, die nach Südwestafrika gelangte, im Jahr 1904. Die Deutsche Kolonialgesellschaft ermöglichte der jungen Frau die Überfahrt, im kaiserlichen ‚Schutzgebiet‘ waren junge deutsche Gefährtinnen weißer deutscher Militärs und Siedler gefragt: auch um die Zahl der mixed race-Kinder zu drücken mit kaiserdeutschen Männern als Väter.
Dass Arabella danach in die Gefechte der Deutschen mit den Herero im ‚onjembo nul-vier‘, dem Deutsch-Herero-Krieg, hineingezogen wird und ein Kind von Herero-Chief Assa Riarua empfängt und austrägt, stellt das übliche, üblicherweise gewaltunterlegte Verhältnis von Weißen aus der Metropole und kolonisierten Nama oder Herero auf den Kopf. In ihrer Tochter und der Enkelin Kriemhild schlummert das Indigene, ehe es in der Urenkelin Cosima, ‚dem schwarzen Gesicht des Neugeborenen‘ augenfällig wird. Cosimas Großmutter Nele von Kavea – wie Arabella, Assa Riarua und Neles vermeintlicher Vater, Oberstleutnant Paul von Kavea, ausdrücklich eine Romanfigur mit allem, was man ihr in den Mund legt – kommentiert die Geburt gegenüber Cosimas Gatten unverblümt rassistisch. ‚Schätzungsweise warst du nicht Manns genug‘. Schwarze ‚sollen phantastische Liebhaber sein‘.
Der Schrei der Hyänen heißt der Roman, in dem die Figur Nele sich so auslässt, ehe sich der Hamburger Senatorin das Wissen um ihren eigenen mixed race-Hintergrund erschließt. 2004 ist das Buch erschienen; es lässt Nele nicht ‚Schwarze‘ sagen. Die Fiktion bedient sich vielmehr der erzähltheoretischen Binsenwahrheit, dass die Bezeichnung einer anderen immer auch eine Selbstcharakterisierung ist. Wenn Nele das N-Wort benutzt, dient dies deutlich der Sympathielenkung, besser: der Antipathielenkung. Nele von Kavea ist tief innen drin eine ewig Gestrige, die das genetisch Andere in ihr einholt, und eine tragische Figur, die zu Recht am Ende blank dasteht.
Der Schrei der Hyänen ist eine in den Kolonialzeitkapiteln verblüffend gut recherchierte Familiengeschichte und zugleich eine Gegen-Saga zu den kolonialapologetischen, völkermord-verklärenden und überlegenheitsrassistischen Mehrgenerationen-Romanen von A. E. Johann (Südwest, 1984) oder Barbara Seelk (Die Stunde der Löwin, 2009), die ebenfalls in der deutschen Kolonialzeit in Südwestafrika (1884–1915) einsetzen.
Verfasst haben Der Schrei der Hyänen Andrea Paluch und Robert Habeck.
Der Bundeswirtschaftsminister von heute ist auch Romanschriftsteller, jedenfalls war er es mal, und besucht nun das Land, dessen Vergangenheit und Gegenwart er mit Andrea Paluch die Familiengeschichte um die von Kaveas eingeschrieben hatte: Namibia. Das Erscheinungsjahr des Romans lag exakt einhundert Jahre nach dem genozidalen Krieg gegen die Herero, was vermutlich ebenso Kalkül war (auch wenn sich Gerhard Seyfrieds Konkurrenzroman Herero aus dem gleichen Jahr besser absetzte) wie die Reise desselben Robert Habeck ins südliche Afrika.
Als grüner Minister könnten Deals mit Wirtschaftspartnern aus einem Land, das die erneuerbaren Energien Wind und Sonne im Überfluss besitzt und damit über perfekte Bedingungen für die Gewinnung von grünem Wasserstoff durch die ökostrombetriebene Trennung von Wasser in Sauerstoff und eben Hydrogen verfügt, endlich anders ausfallen als die, die Habeck nach Russlands Gaslieferstopp einzugehen gezwungen war: Katarisches Gas oder die Verlängerung der Verstromung von Kohle waren Entscheidungen fürs Graue, nicht grün, und fossil statt erneuerbar.
In Namibia geht es auch um Arbeitsplätze für Namibier:innen und ein flächendeckend mit erneuerbaren Energien versorgtes Land, das unabhängig werden soll von der fossilen Energiegewinnung durch Kohleimporte aus Südafrika. Ein ‚Win-win-win-win-win-Projekt‘ nennt es Rainer Baake, Staatssekretär a. D. und Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Energiekooperation, die Habeck persönlich mit eintüten soll.
Vor Ort begrüßen viele die anstehenden Deals. Die deutsche Kolonialvergangenheit, in die der Romancier Habeck sich sehr genau eingearbeitet hat, spiele laut Rainer Baake keine Rolle bei dem, was sich an Abkommen anbahnt. Über die postkoloniale Gegenwart runzeln schon ein paar mehr die Stirn. Namibia ist keine Insel der Glückseligen, seit der Unabhängigkeit vom Apartheid-Südafrika 1990 wird es regiert von SWAPO-Regierungen und damit politischen Entscheidungsträger:innen, die seither nichts anderes gewohnt sind als das an der Macht-Sein mitsamt gewissen Verlockungen. Die politische Opposition spießt die Vergabe ausländischer, auch deutscher Investitionsmittel auf, die zuletzt zum Aufbau einer Wasserstoffindustrie und an eine sechs Monate alte Neugründung von einem Unternehmen geflossen sind: Hyphen Hydrogen Energy, einem Joint Venture der internationalen Nicholas Holding mit der südafrikanischen Tochter des deutschen Energieunternehmen Enertrag SE.
Die für gewöhnlich gut informierte und genau recherchierende Deutsche Welle (Jasko Rust, Lisa Ossenbrink) hat diese Hintergründe am Tag vor Robert Habecks Reise nach Namibia thematisiert. (-> Deutsche Welle) Enertrag, Hyphen und dort die deutsche Beteiligung an einer ‚geteilten Geschichte‘, die gerade geschrieben wird in Namibia und Deutschland: Der Bundeswirtschaftsminister kennt das Gebaren und die Gemüter, die politisch Einfluss nehmen und Strippen ziehen, als Romancier noch ganz gut. Er und Andrea Paluch wissen so wie Rust und Ossenbrink, wie man tief und genau recherchiert. Auch wenn Nele von Kavea, die Hamburger Senatorin aus Der Schrei der Hyänen, am Ende des Romans umkommt: Charakter bleibt Charakter, Koloniales ist schnell auch Postkoloniales und Macht bleibt Macht. ‚Sie hatte diesen Raum immer als Hort ihrer Macht empfunden‘, heißt es über ein hanseatisches Wohnzimmer mit offener Grenze nach Südwestafrika und ins Heute. ‚Hierher hatte sie Bürgermeister geladen, und auf diesen Teppichen waren Geschäfte abgewickelt worden‘.
Bruno Arich-Gerz