14. November 2022

KLIMAKLEBER

 

Von Wolfgang W. Timmler

 

“Haben Sie heute noch viel zu tun?”

“Noch eine Graffitientfernung am Rosenthaler Platz; dann ist Feierabend. Ich hatte heute morgen schon eine Wohnung in Neukölln gemacht; dort war auch ein Wasserschaden wie bei Ihnen.”

“Auch im Bad?”

“Nein, dort war es die Wohnzimmerdecke.”

“Was nehmen Sie denn zum Entfernen der Graffiti? Terpentin?”

“Nein, ich mache das ganz klassisch, erst Grundierfarbe zum Abdecken, dann Anstrich in der Wandtönung. Was anderes käme bei der Partymeile am Rosenthaler Platz auch gar nicht infrage. Dort gibt es Fußabdrücke einen halben Meter hoch an der Wand.”

“Einen halben Meter?”

“Einen halben Meter höchster Langeweile.”

“Oh Gott, oh Gott!

“Ich schätze mal, die Leute dort haben nichts Besseres zu tun, als mit der Hauswand zu tanzen. In diesem Jahr war ich jetzt bestimmt schon das fünfte Mal dort.”

“Dafür halten aber hier alle die Füße still.”

“Hier war ich auch schon das zweite Mal in diesem Jahr.”

“Das ist mir gar nicht aufgefallen.”

“Wie oft ich gerufen werde, hängt von der Hausverwaltung ab. Wenn es das Erscheinungsbild nicht stark stört, dann ist es meist besser, erst mal nichts zu machen, sonst artet die Putzaktion in einen Wettlauf zwischen Hase und Igel aus. Beim Rosenthaler Platz sagte ich gleich zum Verwalter: “Warten wir mal lieber das Wochenende noch ab.” Ich mache ja alles mit Bildbeweis. Dann war das Wochenende und – zack! – ist noch ein Riesending an der Hauswand dazugekommen. Zum Glück habe ich den Farbton schon. Bei einer Hauswand bleibt die Tönung ja dieselbe, bis renoviert wird. Bei Haustüren ist das etwas anders. Da benutze ich einen Graffitientferner. Mit dem kann ich Sprühlack, Farbe und Filzstift entfernen. Ich sprühe die Stelle ein und – zack! – nach 20 Minuten geht die Kriegsbemalung wieder ab. Der Graffitientferner wäre auch was für unsere Klimakleber. Würde sich bei mir ein Klimakleber vors Auto setzen und sich hinkleben, würde ich meinen Graffitientferner rausholen und – zack! Dank dem Graffitientferner müsste ich nicht ewig herumschrubben und auch nicht so freundlich tun wie die Polizei. “Bitte geben Sie die Fahrbahn frei.” – “Nö, ich klebe hier fest.” – Ich müsste bloß abwarten, 20 Minuten und --- ”

“Problem gelöst?”

“Und das Problem löst sich, ja. Das merkt dann auch der Klimakleber. “Huch! Ich klebe ja gar nicht mehr fest!” Für die Polizei wäre der Graffitientferner das ideale Hilfsmittel, 20 Minuten Einwirkzeit und Hände hoch!”

“Aber Nebenwirkungen gibt es schon?”

“Meinen Sie jetzt bei den Klimaklebern oder bei der Polizei?”

“Bei den Klimaaktivisten.”

“Gemeinschaftszelle, schätze ich. Ansonsten gilt: BEI FACHGEMÄSSER ANWENDUNG UNBEDENKLICH! Also, ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso sich ein junger Mensch das freiwillig antut. Der Klebstoff ist doch hochgiftig. Und was hat das überhaupt mit Klimaschutz zu tun? Das ist doch totaler Quatsch! Dann kann sich der junge Mensch auch gleich an die Straße nageln. Das verstehe ich wirklich nicht. Auf der Klebstofftube steht doch in Großbuchstaben: REIZT AUGEN, ATMUNGSORGANE UND HAUT!”

“Mit dem Annageln gab’s schon.”

“Tatsächlich? Wusste ich nicht.”

“Als Street Art. Das ist aber schon eine ganze Weile her und hatte nichts mit Klimaschutz zu tun.”

“Na ja, in der Kunst sind die Verrückten in der Überzahl und nicht die Könner. Ich verstehe trotzdem nicht, wieso sich ein junger Mensch das freiwillig antut, wenn er doch lesen und schreiben kann. Oder findet er das etwa schick? Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich denke, hier stimmt irgendwas nicht im Kopf. Irgendwie passt hier was nicht zusammen. Wer schmiert sich zwei, drei Tuben Sekundenkleber freiwillig auf die Hand? So viel Hass kann doch ein junger Mensch gar nicht auf sich selbst haben! Nein, dahinter steckt was anderes. Sich die Hand mit Sekundenkleber einzuschmieren, wirkt im Kino vielleicht komisch, aber doch nicht draußen auf der Straße! Draußen gibt es doch gar kein Publikum für so etwas. Dahinter steckt was anderes!”

“Und das wäre?”

“Was weiß ich? Sektenkram. Wer Mutter Erde berührt, bekommt große Kraft. Etwas in der Art.”

“Und wer Bilder beschmiert, was bekommt der?”

“Hausverbot.”

“Da haben wir den Kartoffelsalat!”

“Wenn Sie heute ins Museum gehen, dann hängen mittlerweile dort überall Schilder: BITTE NICHT FÜTTERN. Aber ändern tut sich dadurch nichts, rein gar nichts. Die Klimakleber haben ihre 15 Sekunden Aufmerksamkeit gekriegt, und das war’s dann auch schon. Ich wette, in 10 Jahren stellen Studenten die Aktionen nach und nennen das Kunst. Die Klimakleber sind dann längst Geschichte, aber vom Weltuntergang wird noch immer gepredigt, weil das dem lieben Gott so gefällt.”