15. Oktober 2022

Provenienz der Worte

bom dye

 

Über die Sammlungsgeschichte deutscher Museen und semantische Minenfelder


Schenkung, Sammler, Rückgabe. Drei Begriffe aus dem Wörterkosmos des Museums und Musealen, die harmlos daherkommen. Im Fall von ‚Rückgabe‘ scheinen sie nüchtern zu beschreiben, was ansteht seit einer vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron im November 2017 im westafrikanischen Ouagadougou gehaltenen Rede. Ein Jahr später folgte dieser Rede ein rapport (Bericht) über die ‚Restitution afrikanischer Kulturgüter‘ von Bénédicte Savoy und Ferwine Sarr. Die Schrift der beiden Wissenschaftler verfehlte seine Wirkung in Deutschland nicht. Bei Exponaten, die im Zug des kaiserdeutschen Expansionismus und Kolonialismus in die Depots, Sammlungen und Ausstellungsvitrinen gelangt sind, wird seitdem genau hingeschaut.


Wo kamen sie her, die Statuen und Türrahmen und Thronstühle oder die Schädelknochen in den Depots? Vor allem, wie? Was bedeuten sie denjenigen, die sie als Ausstellungsbesucher auf sich wirken lassen können, und was denjenigen, deren Vorfahren sie weggenommen wurden? Wo gehören sie eigentlich hin, und wem gehören sie?


Und wie (be)nennt man all das, vom Hergekommensein der Exponate nach Deutschland bis zur nun auszuhandelnden ‚Rückgabe‘, die sich jenseits der Frage nach moralischen oder juristischen Erwägungen abspielt, wer bislang und nunmehr Anspruch auf ihren Besitz hat und durchsetzt.

 


Detektiv, Wert und Aura

Provenienzforschung nennt sich ein Teil dieser Klärungen. Es ist ein terminus technicus, der die Geste einer gewissen Großzügigkeit und zugleich Vergesslichkeit mit sich schleppt: Wir schauen mal, wo herkommt, was uns bislang nicht groß interessiert hat. Die Raub- und Beutekunstwerke des Nationalsozialismus, vor allem die Sammlung Gurlitt mit ihren illegitimen Eigentümerwechseln haben die Untersuchungen gebahnt und zur Einsicht in ihre Notwendigkeit verholfen.

Da galt: Wenn man weiß, wo die Kunstwerke herkommen, bekommen die Nachfahren der enteigneten Besitzer sie zurück. Irgendwas werden sie mit den ästhetisch und am Kunstmarkt werthaltigen Stücken schon anzufangen wissen. Bei den im Imperialismus hergekommenen Exponaten verhält es sich anders und weniger ökonomisch. Sie besitzen ihren Wert oft als Kult- und Kulturgegenstände, als Raubsakrales eher denn als Raubkunst. Die Aura, die man ihnen an den Orten ihrer Entwendung zuschreibt, verlor sich in der Betrachtung durch Museumsbesucher in der kolonialen Metropole und ihrer Verlängerung ins Heute von Paris oder Berlin. Für diese Betrachter:innen sind es Kunstwerke im Zeitalter ihrer exotistischen Rezipierbarkeit: ohne Aura, schnelle Konsumgüter.


Provenienzforschung klärt detektivisch, was woher kam und wohin es einmal als auratisch aufgeladenes Objekt gehörte, um vielleicht wieder dorthin zurückzugelangen. Im postkolonialen Berlin, das im vollen Sinn nach wie vor Metropole ist, forscht eine Gruppe von kamerunischen und deutschen Vergangenheitwissenschaftler:innen an genau solchen Bestimmungen. Bénédicte Savoy, die Co-Autorin des von Präsident Macron angestoßenen Berichts, ist eine der principal investigators des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Vorhabens eines Atlas zum materiellen Erbe Kameruns in deutschen Museen (der andere ist Albert Gouaffo von der Université Dschang). Zu den Detektiven, die die kaiserdeutsche Beute in der von 1884 bis 1916 deutschen Kolonie Kamerun samt ihres Verbleibs in Berliner, Leipziger und anderen Museen und Depots untersuchen, gehört Mikael Assilkinga.

 


Terminologische Herkunftsforschung

Bei einer Summer School in Kapstadt, die im Titel von anstehenden Transformationen im deutsch-afrikanischen Miteinander handelte und dabei auch sprachliche Wirklichkeiten Bestand aufnahm, stellte Assilkinga Überlegungen an zu den Begriffen, mit denen die Herkunft der Exponate aus Kamerun nach Deutschland bis heute beschrieben und dabei meist schöngesungen und verkleistert werden. Die Provenienz der Worte, also ihre Etymologie und das semantische Feld, das sie immer schon beansprucht haben und nach wie vor besetzen, erweist sich dabei als erschreckend auffälliges terminologisches Korrelat zu einem Diskurs der Restituierung der Kunstwerke, in dem es neben der staatspräsidentiellen Initiative Macrons, die längst in die deutsche Mueseums(leitungs)landschaft übergeschwappt ist, nicht nur im hauptstädtischen Humboldt Forum einiges an Widerhaken und Widerstand gibt.

Mikael Assilkinga spießt in Kapstadt Begriffe auf wie ‚Sammler‘, ‚Geschenk‘ oder ‚Schenkung‘: Termini mit einer semantischen Aureole von größter Harmlosigkeit, die sich mit Freizeit und Hobby assoziieren lassen, mit Freiwilligkeit und Rechtschaffenheit. Hans Franz Ludwig Heinrich Wilhelm Glauning (1868 – 1908) heißt ein Offizier der Schutztruppe in Kamerun mit Nebentätigkeit als supplier von Gegenständen für das Völkerkundemuseum in Berlin und das Stuttgarter Linden-Museum. In den Bestandslisten dort figuriert er als Sammler, nach Deutschland expediert hatte er einen Türrahmen aus Holz und einen perlenbestickten Thron. Ein rechtmäßig erworbener Gegenstand oder gar ein Geschenk war der Rahmen (bom dye) nicht, wenn man bedenkt, das Glauning den Palast des Königreichs Baham, von dem das Artefakt stammt, hatte abfackeln lassen – eher ein Fall von tatsächlicher Brandschatzung. Zur Schenkung umgerubelt, war der Türrahmen in das Berliner Museum gelangt.


Worte und Wörter, Begriffe und Termini haben ihre Tiefe, für die es bislang noch keine Initiative eines Staatspräsidenten zur Dekolonialisierung, Restituierung und Überführung ins Vokabelheft des Unsäglichen gibt. ‚Sammler‘ und ‚Schenkung‘ klingen in solchen Fällen auf befremdliche Weise euphemistisch. Sie fallen auf, wenn man sich auf sie einlässt und das semantische Minenfeld entdeckt, zu dem sie gehören, mit dem, was sie denominieren. Sie sind schnell entlarvt, Assilkinga zeigt das eindrücklich.


Anders bei ‚Rückgabe‘, dem harmlosen Synonym, schön deutsch, von ‚Restitution‘. Auch das ist eine Mogelpackung, wenn man es sich etymologisch auf der Zunge zergehen lässt.


‚Gabe‘, englisch ‚gift‘ – nur wird hier zurückgeschenkt. Jetzt, gegenwärtig. Rückgabe, zurückgeben.


Jacques Derrida hat sich klug über die Gabe ausgelassen, und das Gast-Sein. Deutsche Kolonisatoren waren keine guten Gäste in Kamerun. Sie waren damals schon – und wir sind immer noch – zu Hause in einer Sprache, die entrümpelt gehört wie die von ihnen beschenkten, mitgegebenen Depots und Archive.

Mikael Assilkinga ist kein Linguist, das sagte er bei der Sommerschule in Kapstadt selbst. Er ist auch keiner mit Erstsprache Deutsch. Seine Überlegungen zur Semantik des Gebens und Schenkens, zur unauffälligen und gerade deswegen tiefen Verwurzelung von Begriffen und ihrer beharrlichen Fortpflanzung: der könnte man trotzdem mal nachgehen.

 

Bruno Arich-Gerz

 

TUB: Umgekehrte Sammlungsgeschichte

https://portal.volkswagenstiftung.de/search/projectPDF.do?projectId=10181