13. Juli 2022

Franz und Pirandello in Zaire



Tanz der Teufel, Fiston Mwanza Mujilas im französischsprachigen Original 2020 erschienener und nun ins Deutsche übersetzter Roman, lässt sich so oder so besprechen.


‚So‘ Nr. 1: wie in den ersten Rezensionen im Feuilleton. Die preisen ihn (das hat er verdient) und preisen ihn ein als Wurf eines afropäischen Sprachkünstlers, der eine Geschichte erzählt über ein Sujet und eine Zeit, die er genauer kennt als unsereine:r, ehe er in Österreich Anker gelassen und seitdem Wurzeln geschlagen hat.

Ja, da war und ist in Tanz der Teufel was mit einem nachkolonialen und nachpostkolonialen Gemeinwesen, Stichwort Ablösung von Belgien und der Citoyen Mobutu und eine auf die Fleisch- und Geldtöpfe des Westens schielende Kleptokratie. Und ja, es geht um die Jugend Zaires, der heutigen DR Kongo.


Mwanza fährt drei Jungen auf, Molakisi, Sanza und Ngungi. Alles beginnt in den 1970ern und mäandert voran. Molakisi wirft seinen Kuckucksbruder Sanza und sich aus dem Haus seiner Eltern, dann landet er als Diamantschürfer am unteren Ende einer Rang- und Nahrungskette namens ‚Rennställe‘: Teams von Grenzgängern, die im benachbarten Angola auf den großen Fund hoffen. Sanza wird wie Ngungi ein Klebstoff schnüffelnder Teenager in Lubumbashi im Südosten Zaires, er gelangt auf die Payroll des mobutistischen Geheimdienstes, spioniert Regimekritikern hinterher im Mambo de la fête, wo man kollektiv dem orgiastischen Tanz der Teufel frönt. Im April 1997 macht Sanza den Kindersoldaten der Milizen Platz, die das Regime Mobutus stürzen und doch nur hinüberschleppen in ein neues Zeitalter mit neuen, alten Rules of the Game.


‚So‘ Nr. 2. Eine andere Ebene des Romans, ein anderer Gehalt im wörtlichen Sinn taucht bei aller Konzentration auf sein zeithistorisches Sujet in den Besprechungen kaum auf. Es sind sein Strickmuster als Erzählung und darin die strippen- und stränge(durch)ziehende eine Figur – eine weibliche, nicht einfach in die fingierte Zairewelt passende –, die Mwanza mit den 2021er Roman-Premieren (und Durchbrüchen) von Sharon Dodua Otoo und Mithu Sanyal verbindet.

Adas Raum (Otoo) und Identitti (Sanyal) thematisieren einen afrikanischen Descent bzw. die Positionings von People of Colour in der deutschsprachigen Metropole. Fiston Mwanza Mujila spielt das gleiche Thema an, wenn auch sehr subtil mit sich als kongolesischen Autor, dazu nicht am österreichischen, sondern konsequent am zairischen Handlungsort.


Gott, Göttin, Tshiamuena

Tshiamuena heißt die Frau, an der entlang sich in das Erzähllabyrinth hinein und wieder hinaus finden lässt, das Tanz der Teufel auch ist. Sie agiert als überzeitliche Wiedergängerin, als in den Heiligenstand versetzte Madonna und zugleich normal ausgestattete Figur, komplett mit Mann und diesseitiger Ansprechbarkeit für den vom Diamantfieber geplagten Jungen Molakisi.


„Die Madonna Tshiamuena, eine bemerkenswerte Frau! Alle Zairer, die sich in Angola ihre Sporen verdient hatten, hätten für sie ausgesagt, selbst mit einer Knarre am Kopf. Die Madonna der Minen von Cafunfo war einfach nicht aus demselben Fleisch wie wir, die wir jahrhundertelang durch die Schwemmminen von Angola geirrt waren. Sie war ein wunderbarer Mensch. Oase in der Kalahari-Wüste. Trinkwasser. Mutter Erde. Tempelhüterin.“


Jahrhundertealt ist sie auch selbst. Sie weiß, wie die Hasen quer durch die Zeiten laufen, und es wird behauptet, sie und ihr Name seien ein Synonym für Allwissenheit. Ihre Geburt datieren die Erzählstimmen auf 1921 oder 1923, sie selbst schwört auf eine noch frühere Geburt, „dass sie 1885, 1882, 1876 und sogar – wenn sie mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden war – 1492 zur Welt gekommen war“.


Unbestimmt und vielleicht tief, in jedem Fall mit Impact auf die Gegenwart der Metropole (hier Berlin) ist auch Ada, die beharrliche Wiedergängerin of Ghanaian Descent mit den frappierend ähnlichen Erst- und Folgedatierungen 1459 oder 1848. Sharon Otoos Adas Raum spielt wie Mwanza an auf historische Daten und Zäsuren: Einbrüche von Kolonial- und Versklavungsgewalt, und auch dieser Roman spielt ein raffiniertes Spiel mit Stimmen (who speaks?) und Perspektiven (who sees?), das die herkömmliche europäische Erzählwissenschaft herausfordern dürfte, an der sie vielleicht geschult ist (vielleicht nicht).


Tshiamuena gibt sich allwissend, was neben ihrer Eigenschaft als Wiedergängerin dem Privileg einer Göttin entspricht. „Weil ich Gott bin“, wehrt sie die Frage ihres Biografen Franz ab, dessen Stift sie führt, oder der als österreichischer Schriftsteller und Anthropologenfigur sie zuallererst zu Papier bringt.


Die Göttin Kali ist auch so eine: in Mithu Sanyals Identitti ist sie übersinnliche Coachin für Nivedita, die einiges durchmacht als Studentin einer skandalisierten Cultural Studies-Starprofessorin. Daneben ist Kali Reflector Figure und das Geschehen souverän von außen betrachtende Autorität.


Erzählebenen-Karneval

Als Figur einer Erzählung nicht nur vorzukommen, sondern allwissend zu sein und damit die Narration zu beeinflussen – möglicherweise selber offen oder verdeckt selber zu erzählen –, zählt zu den reizvollen und zugleich besonders verdunkelnden, das Beschriebene permanent hinterfragenden und entwertenden Verfahren literarischen Schreibens. Kali ist bei Sanyal nur milde so angelegt: als eine das Erzählte in ihrer Konstruiertheit erschütternde Göttin. Dafür ist sie zu sehr markiert als Ratgeberin für Nivedita und bleibt unangedeutet als selber den Roman Erzählende. Bei Ada in Otoos Roman verhält es sich etwas komplexer, denn erzählt wird darin auch, was ‚Gott‘ in ihren Impersonations als Raum, Reisigbesen oder Luftbrise erlebt, entwirft und schildert. Gott und die jahrhundertealte Ada fallen nirgends in eins. Zugleich gibt es niemanden, der sie (= Gott) erfindet und (be)schreibt. Gott ist also, so scheint es, eine Art belastbare, eine letzte Erzähl-Instanz.


Das ist bei Tanz der Teufel anders. Hier maskiert sich Fiston Mwanza Mujila als Komponist einer Erzählung, die eine germknödelweiße Schriftstellerfigur Franz Baumgartner verfasst, zu verfassen beauftragt wurde oder eben – das bleibt in der Schwebe als Ausdruck einer Unbestimmtheitsrelation des Erzählens – ins Blatt diktiert wird von Tshiamuena. Mal weiß Tshimuena alles über Franz, mal ist er ihr Memoirenschreiber, der sie in ihren Tiefen kennt und zu Papier bringt. Als Österreicher ist er sowohl taggenau als auch im Epochenkalender der Dekolonialisierung Afrikas nach 1960 zur falschen Zeit am falschen Ort, „Sie sollten das Land verlassen“ heißt es im Mai 1997 und danach wird es nicht besser, „es ist nicht leicht für ihn, als weißer Autor über Afrika zu schreiben“ und „wie durch einen Teich aus Klischees zu waten“. Dazu kommen viele inszenierte Ichs, durch deren Augen und Wahrnehmung abwechselnd erzählt wird: Sanza, Ngungi, Molakisi.


Pirandello

Es ist ein Erzählstimmenensemble, das von der Bühne sein könnte, schließlich ist Mwanza auch Theaterschriftsteller. Fünf Personen suchen einen Autoren, sie schildern als Ichs ihren Daseinsausschnitt von und in Zaire, ohne dass ihre Leben autorisiert werden. Mwanza spielt hier Luigi Pirandello, ließe sich meinen, wenn es sich nicht so unschön eurozentrisch und afroepigonal läse. Es verhält sich bei genauem Hinschauen auch anders, nicht so formexperimentell wie beim Figurenkarneval des Italieners.


Tanz der Teufel findet mit den vielen Ichs genau den Ausdruck des Erzählens, den die Polyphonie Zaires und der vielen Pop-off-and-Vanishs und Pop-up-Daseine, die ein:e einzelne:r hier hat:


„Das Mambo war wie immer rappelvoll. Trotz seines hohen Alters von fünfzig Jahren hielt es sich noch auf den Beinen. Deutlich spürbar war noch die Präsenz früherer Gäste, die es inzwischen zu hochrangigen Staatsbeamten gebracht hatten oder in der Justizvollzugsanstalt Kasapa einsaßen – in Zaire kann man zehn Leben in einem haben, die Dinge ändern sich schwindelerregend schnell und manchmal ziemlich radikal“.

Zaire gibt es nicht in der Einzahl, auch im Rückblick nicht. Das nachzulesen, macht nachdenklich. Seine vergangene Vielzahl bändigt kein Autorengott, aber möglicherweise eine Göttin. Man/frau müsste dafür das Erzählen durchstreichen und unter diesem Strich neu anlegen. Zaire 1970 ff. war nicht nur Klebstoff für die Abgehängten oder Happenstance-Multiversum für alle in ihm, sondern auch eine Challenge für sein Erzählen. Es steckt was in Tanz der Teufel, das genau das wittert, es aufpickt und damit experimentiert.

Bruno Arich-Gerz

 

Fiston Mwanza Mujila: Tanz der Teufel. Aus dem Französischen von Katharina Meyer und Lena Müller. Wien: Paul Zsolnay 2022