29. Juni 2022

Zeuginnenschaft / „Ich bin ein Fein“



Der Titel ist Programm in Julia Webers Romanessay Die Vermengung. Hier gerät Leben und Text, Fiktion und Erlebtes oder Gelesenes als direkte Zitate unmittelbar ineinander verschnitten. Weber lässt ihre Hauptperson Julia Schriftstellerin des Buchs im Buch sein, deren entwickelte Buchpersonen sich, angerissen, mit ihrer Autorin zusammen an Empathiebekundung füreinander machen. Julia Webers eigenes Leben während des Verfassens von Die Vermengung scheint Pate zu stehen, die zweite Schwangerschaft, ein Schriftsteller der Partner etc., dass wohl von einer Autofiktion gesprochen werden kann. Obwohl einiges gewiss offenbleibt, liest sich das Kaleidoskop aus Eindrücken, Szenen, die mitunter wie bis kurz vor der Ziellosigkeit gefügt stehen, als hochpersönliches Stück Literatur, fast ein Tagebuch, als solches zu respektieren und ob seines Realitätsnabels schwerlich zu kritisieren. Offensichtlich dagegen ist Webers brillante Sprache. Was auch immer beschrieben sein soll, Julia Weber kann es schreiben. Im Buch selbst ist zu lesen, an Julia, „schaffst es, aus allem einen poetischen Raum zu machen“. In der Tat schafft der Text dies, doch darin liegt bei Die Vermengung auch eine gewisse strukturelle Versehrtheit, aus dramaturgisch interessierter Warte gesprochen. Der Text sperrt sich vehement gegen jegliche Vereinnahmung, jeden Laufzwang, steht aber nun doch zwischen zwei Buchdeckeln, richtet sich mithin durchaus an eine Lesendenschaft, vergewissert sich seiner selbst beinahe wie Postings in sogenannten sozialen Kanälen, wird ein Halbzeug. Wo ist der Anfang des Feeds, wo ist das Ende, was wird verhandelt – ob „Kunst“ oder was im Buch Kunst genannt wird und Leben zusammengehören, Mutterschaft darin möglich – ist dieser weiche Strom Vermengtes nun etwas dergleichen geworden?
„Als ich gestern weinend die Wäsche aufhängte und weinend dann einen Kaffee aufsetzte, als ich mich, um in Ruhe weiterzuweinen, auf den Küchenboden legte, kam Z. mit ihren kurzen Beinchen und ihrem unsicheren Gang in die Küche gewankt, machte Geräusche, die fragend in mein Schluchzen hineingingen. Sie machte große Augen und fasste an meine Augen, um die Tränen zu berühren. Sie legte mir ihre dicken Händchen ins Gesicht und streichelte meine Wange. Ich weinte noch mehr und küsste sie schluchzend, dann hob sie ihre Hand, in der ein Flusspferd aus Holz lag, und ließ das Flusspferd in mein Gesicht fallen.“
Das Buch trägt als work in progress Fragestellungen vor, verleugnet auch nicht eine zuweilen bürgerliche Perspektive auf die Problematik. Doch was jenseits inhaltlicher Arbeit an Die Vermengung fasziniert, ist eben der Stil. Julia Webers Abschnittsminiaturen, jede einzelne, sind ein Muster für sinnliche Sprachökonomie und -verwendung. Mitunter stärker einer Bröckchenwiederholung verhaftet, schlägt Webers Textproduktion doch von Anfang bis Ende in Bann, besonders dann, wenn Die Vermengung in Literaturweite aufbricht, neue Wege in der Sprache sucht, sich der Inhalt als Getragenes direkt heraus ergibt, ohne mühsam dialogisiert oder zusammengeschnitten zu werden, ist sie nichts weniger als grandios. Die körperlichst geschilderte Geburtsszene beispielsweise, die Beobachtungen aus Fenstern auf Straßenszenen, offen, sind die Momente dieses Bandes, „klebe mir so mein Leben zusammen“.

Jonis Hartmann

 

Julia Weber: Die Vermengung, Limmat Zürich 2021

https://www.limmatverlag.ch/programm/titel/922-die-vermengung.htm