5. Juni 2022

Internationale Solidarität

1.) Detail aus Graphic Novel Kurt Vonnegut: Schlachthof 5 oder der Kinderfeldzug, 2022
2.) Panel aus Graphic Novel Kurt Vonnegut: Schlachthof 5 oder der Kinderfeldzug, 2022
3.) Graphic Novel Kurt Vonnegut: Schlachthof 5 oder der Kinderfeldzug, 2022
4.) Graphic Novel Kurt Vonnegut: Schlachthof 5 oder der Kinderfeldzug, 2022
5.) Corps on the Imjin!, aus: The art of Harvey Kurtzman, Abrams Comicarts, New York 2009
6.) „Harte Zeiten“ von Gregory Rodman Irons, aus Radical America-Comixs, Verlag Brumm Comic, 1973
7.) „Harte Zeiten“ von Gregory Rodman Irons aus Radical America-Comixs, Verlag Brumm Comic, 1973
8.) Cover, Graphic Novel Kurt Vonnegut: Schlachthof 5 oder der Kinderfeldzug, 2022
9.) Cover, Desert Peach, Donna Barr. 1989
10.) Cover, Radical America Comix, Brumm Verlag, 1973

 

Ich kauf mir den Originaltext in der deutschen Übersetzung und setze vier- oder fünfmal an, doch ohne Erfolg. Nie komme ich über die ersten Seiten hinaus. Dabei ist Kurt Vonneguts (1922–2007) „Schlachthof 5“, erschienen 1969, ein Klassiker. Und Klassiker heißt bekanntlich, dass er noch heute und nicht nur die Literaturgeschichte fasziniert und Bedeutung hat. Dann lese ich die Graphic Novel und gleich explodiert es in meinem Kopf. Die Gedanke fliegen in alle Richtungen und setzen sich im Strom der Erzählung wieder zusammen. Dies kaleidoskopische Atmen entspricht dem Aufbau der Erzählung einer Kriegstraumatisierung mit PTSD-Symptomen, Flashbacks und einer Verdrängung der Zukunft in eine fantastische Hyperzukunft. Es ist eben kein ruhiger Erzählstrom, in den sich, alles begütigend, einbettet. Die Erzählung springt zwischen Gegenwart,Vergangenheit und Zukunft. Ich lese den Comic in einem durch. Ein Leitspruch lautet: Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden. „Dazu gehören die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft“, kommentiert Billy Pilgrim, die Hauptfigur und WK II-Überlebender, den Spruch. Was seine fatalistische Grundhaltung beschreibt. Bei allem Fatalismus gilt Vonneguts Roman als pazifistisches Schlüsselwerk. Gerade wenn man es im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg liest oder mit den Schilderungen des Flächenbombardements Dresdens, die Vonnegut als Kriegsgefangener erlebte.

Bei mir lösen die Gedankenexplosionen Erinnerungsbrocken an weitere Kriegscomics und ich beginne in meinem Bücherregal zu recherchieren. Schell finde ich Harvey Kurtzmans „Two Twisted Tales“. Ein Versuch, die Grausamkeit des Kriegs darzustellen. Irgendwo im Keller muss ich noch eine Ausgabe von „Dessert Peach“ haben. Klar, Tom of Finlands „Ledermänner“, die auf Kriegserlebnissen mit deutsche Soldaten basieren und die später als ästhetisches Vorbild für ein ganze Szene dienten. Und dann, wegweisend! Klaus Theweleits „Männerphantasien II, Männerkörper, zur Psychoanalyse des weißen Terrors“, mit Zeichnungen aus „Harte Zeiten“ von Gregory Rodman Irons, 1970, erschienen bei Brumm Comics. Seine Geschichten sind unübertroffene Glanzstücke des Antikriegscomics. Bei ihm endet die Geschichte (des Lebens), bevor sie begonnen hat – besser kann keine Kriegswarnung dargestellt werden. Verbunden mit der unausgesprochenen Aufforderung, seine Geschichte selbst zu schreiben und sie nicht kriegstreibenden Autoritäten zu überlassen.

Wir leben in harten Zeiten. Und es wundert mich, warum Pazifisten im Moment fast gar nicht in Erscheinung treten, oder kommen sie einfach nur nicht zu Wort? In den 50ern und 70ern, zur Zeit der Wiederbewaffnung Deutschlands oder im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg ergriffen sie das Wort. Begründungen, warum sie heute anscheinend keine Rolle spielen sollen, lesen wir heute täglich. Gleichzeitig vermisse ich die „Hoch-die-internationale-Solidarität“ der Arbeiterbewegung und des Feminismus, die ja per Definition international ist. Zwei Größen, die sich über die Ländergrenzen hinweg solidarisch gegen jede Form von Kriegstreiberei erklären sollten, schweigen. Beide Gruppen sind immer leidtragende Mehrheiten von Kriegen gewesen. Da scheint bereits vor dem Angriffskrieg der Russen etwas nicht richtig gelaufen zu sein, dass hier keine grenzüberschreitenden Strukturen aufgebaut und kultiviert wurden. Da müssen wir uns schon mal selbst fragen, in welchen Blasen wir eigentlich gelebt haben. Berlin war einmal die Stadt der Kriegsdienstverweigerer – jetzt brauchen wir ein neues Berlin.

Christoph Bannat

 

Schlachthof 5: oder Der Kinderkreuzzug

Autoren:

  • Albert Monteys

  • Kurt Vonnegut

  • Zeichner:

  • Ryan North


Cross Cult Verlag, Ludwigsburg 2022
ISBN 9783966585040
Gebunden, 192 Seiten, 35,00 EUR