22. Mai 2022

Collagen, Schnitt-Protokolle



„der beste Bauer / dieser Demokratie. / dieser Bauer ist der / beste von allen. / das ist das einzige Zimmer, / es gibt nur einen Stuhl.“

Einen Volltreffer landet MÄRZ mit Kathy Ackers experimentellem Kultdebüt Bis aufs Blut – Zerfleischt in der Highschool. Das großformatige Buch ist eine herausfordernde Montage aus non-konformistischem, sehr emotionalem Sprachmaterial, mal Tagebuch, szenischer Text, Gedicht, Essay, Cover bzw. Nacherzählung anderer Bücher (z. B. Hawthorne), pseudo-persischer Sprachkurs, Traumgeständnis oder Graphic Novel. Letzteres, d. h. die ausgesprochen lebhaften Zeichnungen Ackers sind mitsamt ihrem eigenen Lettering eine Welt in der Welt. Mythologien, Tierepos, zum Teil zum Ausfalten, hier liegt ein saftiges Stück Buchkunst vor.
„Hör zu, wir hassen nicht, wir müssen uns rächen. Gegen den Stumpfsinn der beschissenen Gesellschaft ankämpfen. Entfremdete Roboterbilder. Hier ist etwas zum Naschen, meine Dame. Nein zu allem außer Raserei.“

[Aus dem Hawthorne-Konvolut]:
„Hesters Ehemann ist ein Gelehrter. Ein Gelehrter ist ein Oberbulle, denn er bestimmt die Wege, denen die Menschen in ihrem Leben folgen, damit sie nicht in Schwierigkeiten geraten und damit die Gesellschaft überlebt. Ein Gelehrter ist ein Lehrer. Lehrer ersetzen gefährliche lebendige Schöpfereien durch tote Ideen und lehren diese Ideen als die Geschichte und den Sinn der Welt. Lehrer foltern Kinder. Lehrer lehren komplizierte Verfahren, um das eine zu sagen und etwas anderes zu tun.“

Es gibt verschiedene Stoßrichtungen in Ackers freiem Experimentieren mit ihrer Protagonistin Janey, die sich nicht immer bedingen, sondern koexistieren wie verschiedene Mindsets eines Sprachkörpers. Dennoch ist ihnen zentral das Begehren als gemeinsamer Ausgangshunger eingeschrieben. Sie können selbst rüde austeilend oder selbst verletzt sein bis ins schonungslose Detail. Dabei sieht Acker die Leser:innen eher wie Verbündete. Nie wird unterhalten, und doch haben die Episoden etwas enorm Unterhaltsames, das von der überlegten Übersetzung von Johanna David mit viel Ohr für die Coming-of-Age-Nuancen, die Aggressionslevels, Verzweiflung oder Hingabe vermittelt wird. Bis aufs Blut – Zerfleischt in der Highschool ist ein widerständiges Werk, wuchtig-punkig, exzessiv wie Bataille, sprunghaft wie Chris Kraus und längst überfällig auf Deutsch – in dieser Ausgabe ein wohl auf ewig frischer Meilenstein, der Maßstäbe setzt.

„JEDE POSITION VON BEGEHREN, EGAL WIE GERING, IST IN DER LAGE; DIE ETABLIERTE ORDNUNG EINER GESELLSCHAFT INFRAGE ZU STELLEN; NICHT DAS BEGEHREN ASOZIAL WÄRE; IM GEGENTEIL. ABER ES ENTHÄLT SPRENGKRAFT; KEINE BEGEHRENSMASCHINE KANN ZUSAMMENGEBAUT WERDEN OHNE GANZE SEKTOREN ZU VERNICHTEN.“

Jonis Hartmann

 

Kathy Acker: Bis aufs Blut, März Verlag, Berlin 2022

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