Sie wollen nur spielen?
Gestern erschienen, heute schon ein Klassiker – Horror im Comic von Alexander Braun, erschienen im Avant(gard) Verlag. Horror im Comic ist ein schmales, aber aufregendes Genre. Die sind bekannt dafür, gut erweitert zu werden. Und wer sich über ihre Grenzen hinaus wagt, erfährt mehr über sich und die Gesellschaft. Hier ist der Schrecken ein Glücksfall der Erkenntnis. Alexander Braun schafft ein Meisterwerk im Alleingang, über 450 Seiten, vorzüglich bebilderten und gestaltet. Gegliedert in 15 Kapiteln, bringt er Übersicht, Ordnung und Wissen in dies vielseitig umkämpfte Genre. Mit seinen soziokulturellen Betrachtungen bezieht er Stellung, indem er das Phänomen Horror gesellschaftspolitisch einordnet, mehr als dass er es psychologisiert. Mit einem dichten Netz aus Verweisen zeigt er, dass es sich hier um ein zivilisatorisches, kreatürliches Verlangen nach Bildern handelt. Und dass wir ein Recht auf Schauer und die Primäreffekte wie Ekel, Angst und Erregung haben. Ein Recht auf künstlerischen Ausdruck, der hier unmittelbar mit dem Medium Zeichnung zusammenhängt. Dabei verweist Braun zunächst auf Horror in der die bildenden Kunst, von Rembrandt über Gentileschi bis Goya. In der Literatur von der Bibel bis Poe und beim Horrorfilm von Hitchcock bis Hooper.
Wobei der Comic, als volkstümliche Massenunterhaltung ab den 1950er Jahren für ihn eine ganz besondere Rolle spielt. Allein die Millionenauflagen und die Geschichte fanatischen Zensurbemühungen zeigen, dass es sich hier um ein gesellschaftliches Spannungsfeld handelt. Ein Feld, dass mit diesem Kompendium erstmals zusammengefasst mit Hintergrundwissen unterfüttert wird. Dabei wird auch der Frage, ob Gewaltdarstellungen jugendgefährdend sind und Gewaltbereitschaft fördern oder diese im Gegenteil abbauen, nachgegangen. Was einmal mehr die aristotelische Frage aufwirft, ob die Tragödie, Schauder (Phobos), Mitleid und Jammer (Eleos), als ein zentrales Moment der tragischen Erfahrung des Publikums von Tragödien, bei diesem eine Katharsis herbeiführt.
Für Braun sagt der Umgang mit Horror viel über das allgemein Unbewusste einer Gesellschaft aus. Für ihn ist der gesellschaftliche und mentale Boden, auf dem diese Bilder gedeihen, entscheidend. Horrorgeschichten entstehen auf vielen Ebenen und produzieren ihre eigenen Metaphern. Eine ganz Kulturindustrie probt den spielerischen Umgang mit Schauergefühlen. So können Zombies als Antithese zur körperoptimierten, kapitalgesteuerten Freizeitgesellschaft oder als auferstandenes Proletariat und Vampire als aristokratische Arbeitgeber verstanden werden. Das Öffnen, Morphen und Zerstückeln von Körpern hat in einer Freizeitgesellschaft eine andere Bedeutung als in einer selbstherrlich nationalistischen und kriegerisch geprägten. Horror im Comic wird so zu einem oft schwer erträgliches Sittengemälde. Stellt aber immer auch die Macht- und Statusfrage, wer wen beherrschen und besitzen will. Hier lässt sich der Mensch nicht auf seine Vernunft reduzieren. Hier überwiegt der Genuss an der Bedrohung und am Überleben einer Lese-Zeitspanne. „Horror (im Comic) mag roh sein, aber Horror ist authentisch, weil er nichts anderes sein will“, schreibt Braun. Beim Lesen erfahren wir mehr über den gespielten Ernst, wenn der Körper sich zu einer einzigen Zuspitzung verengt und Angst produziert. Horror im Comic will eben doch nur spielen. Native Digitals wissen das besser als andere Generationen. Dabei erfahren wir, dass die Freiheit des Spiels den Ernstfall beinhaltet. Horror hat aber auch eine Funktion, er hält die Urinstinkte, Alarm- und Warnsysteme wach, auch deshalb wird mit Horrorfilmen und Fotos Politik gemacht. Gleichzeitig erfahren wir, wie verletzlich das Leben ist.
Saturns Enkel-Garstige Zeiten, Tod und Teufel von Belzebub bis Hellboy, spitze Zähne-Elegien des Bluts, Zombies und andere Plagen, Dunkles Ich. Der Feind in Dir … sind einige der 15 Kapitelüberschriften. Die Texte sind hervorragend recherchiert und verständlich beschrieben.Wer also etwas wissen will über der Fumetti neri, brutale Sexgeschichten, die es in den 70ern an jedem Kiosk im Straßenverkauf in Italien gab, oder über die gesellschaftlichen Hintergründe der Nippon-Gore-Comic, mit seinen unfassbaren Splatterfantasien, oder einfach nur, was aus dem talentierten Al Columbia wurde, schlägt hier nach.
Christoph Bannat
Alexander Braun: Horror im Comic, Avant Verlag 2022