28. April 2022

Aufwendig das Koma verlassen



Mit einem lang erwarteten Band 020 schlägt die Brüterich Press zurück. Mehlhäufchen von Daniel Ableev hat die Attitüde eines eingemauerten Punks. Und obwohl sehr verzweigte, geradezu chaotische Wortschätze blitzen, ist der Alles-in-allem-Akt irgendwo brühwarm, zufrieden, letztlich wie ein exzessiver Wenige-Akkorde-Nudler mit entlegenen Zutaten. Es fragt sich, was bei den drei gesteigerten Kapiteleinheiten (vor allem im letzten Abschnitt Gegen uns geübte Wunder) überhaupt hochgehalten wird. Eine Antwort könnte sicherlich in beigefügten Gimmicks zu finden sein. Nicht nur die bauchigen Zeichnungen, Black-outs, Skribbel-thrus, die formorientiert sind, ganz besonders aber auf der CD, „mitreißend“ laut Verlag, Mehläudchen – stimmt (beachtliches Doublebass-Spiel, schmissiger Impressionismus an den Tasten (und natürlich der ebenfalls Keyboard-geslappte Bass auf Track 034)) sind mehr als hochenergetisch. Insofern arbeitet Mehlhäufchen in drei Medien gleichzeitig, entlastet, beziehungsweise stützt sich damit selber. Ableev kommt als eine Art Multitasker, die Texte scheinen nicht unbedingt das Zentrum, vielmehr Kleid der vielen, denen allen gemein ist, dass sie in die Vollen greifen (siehe den 42-min.-Schluss-Assault auf der Mehläudchen), wo immer möglich, das Leise meiden.
„Ich find es faszinierend, wie jemand, der strukturell dermaßen verkackt, so sehr mit sich im Reinen sein kann.“


„Ich habe auf Pavianhintern gesessen und geschlafen, ich habe mit Pavianhintern meine Gummizelle ausgekleidet – weiches Teil.“


„Du sollst nicht Pastete atmen, du sollst dir nichts ausmalen, du sollst keine Lungen in die Wand leeren, du sollst kein Lab spalten.“


Die meist schwer angeglitchte Schreibe Ableevs, „natürkluich“, nimmt sich, was ihr unterkommt, und baut sich ein versynthetaxtes Gerüst, das mehr kaputt macht als konstruiert. Teilweise scharf rhythmisch und nie, an keiner Stelle, gefällig. Die Konsequenz der Vernudlungsmaschinerie ist absolut enorm, der Preis entsprechend hoch. Manches, insbesondere im letztlich freigiebigsten Text, jene Gegen uns geübte Wunder, dem noch die Mehleme folgen, in denen zu erfahren ist, „dass Fuchur früher für die Stasi geflogen ist“, sowie natürlich Fußnoten, Erklärungen etc., scheint wie aus gänzlich gegenläufigen Stimmungen zusammengestanzt worden zu sein. Ein Cut-up auf der Buchstabenebene, sozusagen Kack-app (Verzeihung), um im Vibe zu bleiben. Dessen U-Ton windet sich zwischen endpeinlichen Essayansätzen (sind es schon Parodien im Ausgangsmaterial?) zu trashigen Betrachtungen wie vor dem 90er -Nekromantik-TV im stillen Kämmerlein zu krass aggressiven pseudoanthropologischen Stellungnahmen, Sci-Fi, Kommentaren zu pünktlicher Lieferung von Video-Nasties, Teenie-Getue und einer unzählbaren Menge Fillas hindurch, um jedoch in jedem Vers, praktisch auf der Lautebene von einer fast computerhaften Sprachtauschintelligenz angegangen zu werden. Die Spieldichte ist so hoch, dass sie geradezu abstoßend wird – und damit radikal, „Mörtel cumbat“ als ein unbeirrter Spielplatz, der sich gegen jedes Außen sperrt. Ist das alles wirklich wahr? Ein absolut verunsichernder Schlussakkord von Brüterich Press.

Jonis Hartmann


Daniel Ableev: Mehlhäufchen, Brüterich Press, Berlin 2022

https://www.brueterichpress.org/2022/03/16/brueterich-press-020-ist-da/