25. März 2022

Heino Jaeger

 

 

Die Fahrt von Berlin nach Hamburg-Langenhorn zu meiner Mutter dauert fast so lang wie von Langenhorn nach Stade. Genug Zeit, sich Gedanken zu machen über Hamburg und seine Künstler. In Stade hat das Kunsthaus die bisher größte Heino Jaeger-Ausstellung mit über 300 Arbeiten zusammengestellt. Gesichtet wurden über 2000 Zeichnungen. Jaegers Zeichnungen begegnete ich zuerst in der Ausstellung „Der Naive Krieg“, kuratiert von Georg Barber (Atak). Diese gab auch den Anstoß für die Heino Jaeger (1938–97)-Retrospektive in Stade. Zeitnah erschien auch die fiktive Biografie von Jaeger-Fan Rocko Schamoni.

Mir war der Kultstatus Heino Jaegers schon länger bekannt und ich hatte meine Bedenken, ob die Originalzeichnungen diesem gerecht werden würden. In Hamburg wird er als Untergrundmarke mit Verbindungen zu so unterschiedlichen Künstlern wie Hubert Fichte, Horst Janssen, Vicco von Bülow (gleiche Mahlau-Klasse der Hamburger Kunsthochschule), Olli Dittrich (Sammler von Jaeger-Zeichnungen) u.v.m. gehandelt. Zudem kommt der Ruf als Chronist und stiller Kiezgröße. Kiez meint St. Pauli, dort, wo Touristen und Hamburger aus allen Stadtteilen aufeinandertreffen, um eine Zeit lang unter dem Einfluss geistiger Getränke die Illusion von Gleichheit und Brüderlichkeit zu erleben. Eben der ganze St.-Pauli-Kitsch, mit der Gefahr, dass ein Talent wie Heino Jaeger, wie viele andere auch, hier als Kultfiguren bejubelt untergehen.

Stade ist nicht gerade Arkadien und das Kunsthaus eher ein antiauratischer Bau. Enge Räume, gewundenen Stiegen und niedrige Decken über drei Stockwerke. Aber gerade deshalb ist die Ausstellung ein perfektes Beispiel, wie man alles richtig machen kann. Die über 300 Arbeiten Jaegers wurden mit Überschriften wie Bahnhöfe, Text-Bild-Welten, Tiere/Fabeln, Medizin proportioniert und mit Texten und QR-Codes versehen, was es erleichtert, ins Universum-Jaeger einzusteigen. Und einmal drin, verliert man sich schnell in den szenischen Narrativen, der Welt von Heino Jaeger. Dazu gibt es einen dicken großformatigen Katalog mit weiteren Arbeiten, biografischen Notizen, Recherchematerial und Verweisen auf Einflüsse. So bekommt das Wissen um den Imitator Jaeger, das bis jetzt in Döntjes und Erzählungen weitergegeben wurde, ein festes Fundament in der bürgerlichen Welt.

Und wer meint, dass das reicht, um mitreden zu können, wird in Stade eines Besseren belehrt, denn die Zeichnungen legen als Originale noch zu. Erst vor Ort wird spürbar, was die Faszination für diesen begnadete Imitator mit fotografischem Gedächtnis ausmacht. Mit ihm begeben wir uns auf die Reise in die WK-II-Nachkriegsjahre, die menschlichen Ruinen und ihrem Nachhall in den 70ern, wie sie St. Pauli bevölkerten. Seine Stimmenimitationen, für die er bundesweit bekannt wurde, sind stilprägend für eine intuitive künstlerische Feldforschung der unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten, deren akustischen Masken und Sprachduktus. Gefärbt im Säurebad der Ironie. Dabei perfektionierte Jaeger den Kult der verweigerten Anekdote, wie ihn später Helge Schneider oder Olli Dittrich (mit Dittsche) pflegte. Ein Humor, der im Nachkriegsdeutschland nur eine kleine, aber gebildete Gemeinde, meist im Rheinland, fand. Die Zeichnungen aber verließen kaum den norddeutschen Raum. Zeichnungen und Tonaufnahmen ergeben das Bild eines nerdigen Aussteigers und Prototyps des Antispießers, der einfach nicht anders konnte. Vom Stoff-Mustermaler zum Dokumentaristen archäologischer Funde, über die Hamburger Kunsthochschule bis zum Salambo-Tresenzeichner kann der Besucher der Spur seiner Zeichnungen folgen. Und dabei pflegte Jaeger einen Strich, der immer weiß, wo er hingehört und wohin er will, egal wie fantastisch die Figuren und aus welcher Zeit sie sind. Es scheint, als wüssten die Zeichnungen Jaegers mehr als dieser selbst, der sich mit den Jahren und unter Alkoholeinfluss zunehmend selbst zerstörte und schon mal freiwillig in die Psychiatrie einwies.

Um so wichtiger ist diese Ausstellung, in der alle Lebensfäden Heino Jaegers zusammenlaufen. So ergeben sie ein Ganzes in ihrer traurig schönen und erschreckend faszinierenden Zerrissenheit. Die Ausstellung zeigt jemanden, der dokumentiert und verkleidet, was ihn bewegt, der sich aber nie selbst zu stilisieren wusste. Dafür war er vielleicht zu introvertiert.

Und auch Rocko Schamoni macht seine Sache gut. Auch wenn kein großer Literat, benutzt er Literatur doch dazu, sich selbst auf die Spur zu kommen. Und er nennt die Bedingungen (u. a. den Tod des Vaters), unter denen er die nachempfundene Jaeger-Biografie schrieb. Eine ehrliche Haut, um Wahrhaftigkeit bemüht, die das Herz am rechten Fleck hat und die den St.-Pauli-Mythos noch einmal aufleben lässt. Wohl wissend, dass er nicht mehr lebendig ist. Wissend aber auch, dass der Mythos von „der Zeit, als das Wegenetz des Sozialen noch enger war“, den 60ern und 70ern, als Referenzgröße am Leben erhalten werden muss.

Christoph Bannat



Heino Jaeger

Retroperspektive oder wie man das nennt

05.03. bis 06.06.2022

Kunsthaus Stade