21. März 2022

Im Gras versunken



Erneut von Rainer G. Schmidt ins Deutsche übertragen, erscheint ein weiterer „Monolith“ von Gerald Murnane aus den 1980er Jahren bei Suhrkamp. Damals durchgefallen bei der Kritik, erntete er eine enorme Aufwertung durch eine Rezension Ende der Nuller-Jahre von J. M. Coetzee, der diesen schwierigen Prosastein zum Meisterwerk Murnanes erklärte. Er mag aus der Perspektive eines Schreibenden recht haben, so wie in der Musik beispielsweise Gitarristen „A Guitarist’s Guitarist“ genannt werden, weil sie den Kennern / Fellow Comedians etwas in Sachen Technik sagen, doch gilt das kaum für Nichtschreibende bzw. unbelastete Ohren, wenn man so will:

Was Murnane in Inland betreibt, ist eigentlich inkommensurabel für Murnane-Einsteiger & selbst für Verehrer womöglich ein Schritt zu weit ins Selbstgerechte. Jene absichtsvolle Scheuklapperei, der recht Cis-getränkte Blick auf praktisch alles wartete in anderen Büchern, am stärksten bei Landschaft mit Landschaft, noch parallel mit einer originären literarischen Gestaltidee auf, die nicht selten grandios zwischen den Zeilen operierte, Statusmeldungen zu Alkoholismus, späten Teeniewehen in Australiens Vororten, sehnsüchtigen Fantasieorten, inklusive deren Genese funkte.


In Inland allerdings scheint es in eine Art personelle Science-Fiction abzudriften, bei der jenes Inland den Ton angibt, Kommandos zur Ausrichtung des Textes wirft, den ansonsten vollkommen unbestimmten Erzähler, der allerdings auch nichts erzählt, sondern aufzählt, zu allen möglichen abrupten Weltenwechseln inspiriert. Das Imaginieren der Präriewelt mit ihrem Institute of Prairie Studies in der Stadt Ideal ist der Beginn eines Vexierbildspiels Murnanes, der am Schreibtisch sich wahlweise ins Grasland Ungarns oder die Bibliothek des Instituts oder eines „Herrenhauses“, Letzteres ein typisches ziemlich unzeitgemäßes Artefakt Murnanes, mittels Briefen hineinschreibt, nur um gegen Mitte / Ende des Romans eher unmotiviert in Kindheitserinnerungen um das Mädchen aus der Bendigo Street zu fallen.


Obwohl Murnanes Prosa auch hier wunderschön ist, Schmidts Übertragung gewohnt souverän, für sich genommen voller Höhepunkte, ist der Überbau des Ganzen eine unsorgfältige Spontaneität, die letztlich das Persönliche über das Literarische stellt, Briefeschreiben über ein gewichtetes Inszenieren. Am ehesten kommt vielleicht Proust bei diesem Verfahren in den Kopf, der auch seinen Auftritt hat in dem Roman,  sich damit aber umso mehr in einen Abklatsch verwandelt. „Ich habe einen Weg gefunden, eine Sache zu beobachten, der mir das zeigt, was ich nie sehe, wenn ich auf die Sache schaue. Wenn ich eine Sache aus meinen Augenwinkeln beobachte, sehe ich in der Sache die Gestalt einer anderen Sache.“


Innerhalb dieses großen Flickwerks ragt der erste Prärie-Teil heraus, denn er erlaubt Murnane literarisch zu reagieren, im Vexierspiel, wohingegen die späteren Bilderreisen wie aus gänzlich anderen Schreibprojekten stammen, die nicht zusammenkommen wollen.


„Ich sah Geister von Bildern von weißen oder grauen Seiten, die über den gleichen Geist eines Himmelsbilds treiben. Und ich fuhr fort, zu schreiben, sodass Geister von Bildern von Seiten von mir über Geister von Ebenen in einem Geist einer Welt treiben würden, in Richtung von Geistern von Bildern von Himmeln in Bibliotheken von Geistern der Geister von Büchern.“


Jonis Hartmann


Gerald Murnane: Inland, Suhrkamp Berlin 2022

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