6. März 2004

Infohaufen

 

Vielleicht zeigt Sibylle Berg in "Ende gut" das erste Mal, dass es für sie einen Ausweg aus der Aussichtslosigkeit des Alltags und der depressiven Weltsicht gibt. Ihr neuester Roman setzt sich aus Fragmenten zusammen, die dem Leser zunächst durchaus Albträume und physische Schmerzen bereiten können.

Da ist zum einen die unheldenhafte, zirka 40-jährige Heldin, die in einer typisch hässlichen, deutschen, mittelgroßen Stadt lebt, man müsste eher sagen, vor sich hin denkt und leidet an dem Wahnsinn und der Bösartigkeit der Menschheit sowie der Sinnfreiheit und Freudlosigkeit ihres Daseins. Gleichzeitig lässt die Autorin Monologe der Menschen dieser Umgebung einfließen und arbeitet sich hier an von ihr bekannten Sujets ab wie der Beziehungsunfähigkeit des modernen Menschen, Armut, Einsamkeit, Ausländerfeindlichkeit, Faschismus, Sexismus oder der unendlichen Langeweile des hinter der Mode- und des Lifestyl-Hinterherlaufens.

Da kommt zum Beispiel Harkan, ein junger Einwanderersohn, zu Wort, der bereits mit 16 im Schlachthof arbeitet und, obwohl er Muslim ist, geschlachtete Schweine bearbeiten muss; oder Hanne berichtet über ihre Erlebnisse im Swingerclub, in den sie von ihrem lieblosen Ehemann geschleppt wurde.

Durch von der Protagonistin als "Infohaufen" bezeichnete Ausschnitte aus Zeitungen und Fernsehberichten wird der Leser zudem mit Themen wie der atomaren Aufrüstung, der Geschichte der biologischen Kriegsführung, der Psyche von Serienmördern oder der Aufzählung von Massakern und Attentaten konfrontiert.

Vor dem Szenario einer Welt, die zu Grunde geht. - Amerika hat über Deutschland ein Wirtschaftsembargo ausgesprochen, weil es sich dem Irakkrieg verweigerte. In Hamburg bricht durch einige irrwitzige Menschen, die sich im Internet getroffen haben, die Pest aus, die sich wie auch verschiedene andere Seuchen über Deutschland und Europa verbreitet. Gleichzeitig werden überall auf der Welt Anschläge verübt.

Vor diesem Hintergrund des Weltuntergangs beginnt die Heldin, sich zu bewegen, reist durch Deutschland und ist endlich angstfrei, weil sie nichts mehr besitzt und das Ende jeden Tag vor ihren Augen sieht. Und je mehr die Erde zerstört wird, desto mehr findet die Heldin zu sich selbst. Sie wird aus ihrer depressiven Apathie gerissen: "Seit ich begriffen habe, dass ich nirgends in Sichertheit bin, geht es mir nicht gut, aber besser als vorher. Es entspannt, um nichts mehr Angst haben zu müssen, und sei es auch nur eine hässliche Zweiraumwohnung in einer unattraktiven Wohnlage."

Nach Stationen in Hamburg und Hannover kommt die Heldin nach Weimar und reflektiert über ihre dort verbrachte Jugend. Eine Parallele zur Autorin, die ebenfalls in Weimar aufwuchs.

Am Ende der Odyssee findet die Protagonistin in einem abgelegenen Winkel der Welt, der vom Untergang des Rests verschont bleibt, die Antwort, wie heile Welt geht: "Vielleicht heißt die Langweile hier einfach Ruhe und das macht sie sympathischer ... Alles ist in einer selbstverständlichen, unspektakulären Art einfach da. In so einer Umgebung fällt es leicht, selber nicht wahnsinnig beeindruckend zu sein. Man muss sich nicht verbiegen, um dieser Umgebung gerecht zu werden."

Man kann Sibylle Berg vorwerfen, dass ihre Figuren stereotyp und nicht lebensecht sind. Die Heldin müsste im wahren Leben sicherlich nach nur einem Tag all ihrer nihilistischen Gedanken aus dem Fenster gesprungen sein. Doch die Autorin vermag damit den Leser an die eigenen Momente erinnern, in denen er der Hässlichkeit der Welt ins Auge schaut und es nur schafft weiterzuleben, in dem er diese Gedanken so schnell wie möglich verdrängt.

Vielleicht lassen sich solch schonungslos ausgesprochenen Wahrheiten über die Bösartigkeit der Menschheit auch nur in solche Klischees verpacken. Für die Hauptaussage des Buches hätte jedoch eine Reduktion der Themenvielfalt gut getan. Hätte die Autorin die ersten 120 Seiten des Buches straffer gefasst und die Konzentration stärker auf den Zusammenbruch der Zivilisation gelegt, der zum Wachstum und zur Befreiung der Heldin führt, so wäre die Autorin ihrem eigenen Anspruch, alles Überflüssige wegzulassen, sicherlich gerechter geworden: "Klare Gefühle haben, klare Aussagen machen, keine Zeit verschwenden mit unnützem Gelabere. Ich finde es eine Unverschämtheit, Menschen mit 600 Seiten Dünnschiss zu belasten." (Interview mit Sibylle Berg in der Zeitschrift AUD!MAX Ausgabe 04/98)

 

Ina Weidmann

 

Sibylle Berg: Ende gut, 336 Seiten, Kiepenheuer & Witsch 2004