13. Januar 2022

Bleib da, Pa’, kick doch mit uns!


„Ich entferne mich, entferne mich aus den Tagen,
in denen auch ich jung war,
auch ich strotzend vor Sperma
und unzufrieden, wie es die Jungen nun einmal sind,
ja mehr noch, wütend,
voll der düsteren Melancholien, die den Müttern wehtun.
Eine vertrocknete Seele, die der Welt entflieht.“

Pasolini war zeitlebens ein Dichter. Er begann mit jenen berühmten friulianischen Mundartgedichten, die er später revidiert veröffentlichte (von Christian Filips vor einigen Jahren inspiriert übertragen) und hinterließ eine größere Anzahl später Gedichte („Ich werde keinen Frieden finden, nie“), die nun in einem voluminösen Suhrkamp-Band Nach meinem Tod zu veröffentlichen zweisprachig vorliegen. Übersetzt und herausgegeben hat ihn Theresia Prammer – eine respekteinflößende Aufgabe –
„wie Ninetto, der an nichts glaubt,
doch wild entschlossen ist, sich an allem zu freuen.“
– das Schwierige scheint die ständige Suchbewegung Pasolinis zu sein, die sich in der Stimme, ihren Themen, Timbres usw. fortlaufend neu erfindet. So gehören die früheren Gedichte in dem Band, aus den 60ern, zu einer Phase, die wesentlich formgebundener agiert. Reime zuhauf und nicht selten eine fast akademische Mimikry, die gleichwohl einen, dem Italienischen ohnehin eingeborenen Hochklang ergibt, der in Prammers eher analytischer Übertragungssuche aber nicht ganz Fuß fassen will. Ein klangliches Surplus oder Wagnis will sich nicht immer einstellen. Wohingegen die spätesten und zu Lebzeiten am kontroversesten aufgenommen Gedichte („trasumanar e organizzar“), in denen sich der Autor rücksichtslos wütend wie in Patmos und mithin befreit äußert, stachelt, flippert, grandios in Prammers stilistischer Nüchternheit (und Genauigkeit) abbilden. „Mit einem halsbrecherischen Programm aus Projekten, Bilanzen, Wiederholungen und Entwürfen stemmte sich Pasolini gegen seine eigenen Routinen, um den Preis, diesen Boykott selbst als Routine zu etablieren“, schreibt Prammer im Nachwort. „Diese Sammlung [...] ist der Versuch einer Bändigung.“ Das Sich-frei-Schreiben Pasolinis, das seelische auf der Gegenwartshöhe sein, seine eigenen Kommentare in dieser „Zivilpoesie“ schaffen wilde Dringlichkeit, die alle Äußerungen mit Spannung und Stellungen durchzieht, für die sich Nach meinem Tod zu veröffentlichen lohnt.

„Giorgio ähnelt Carlo Levi, wenn er läuft,
Götterliebling, macht er einen Fallrückzieher“


Jonis Hartmann


Pier Paolo Pasolini: Späte Gedichte. Suhrkamp Berlin 2021

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