16. November 2021

Der Wille zur Schönheit

Max Baitinger: Sibylla
Anna Haifisch: The Artist: Ode an die Feder
Max Baitinger: Sibylla
Max Baitinger: Sibylla
Anna Haifisch: The Artist: Ode an die Feder
Anna Haifisch: The Artist: Ode an die Feder
Anna Haifisch: The Artist: Ode an die Feder

 

 

Beide sind großartige Buchkünstler: Anna Haifisch und Max Baltinger. Meisterhafte Erfinder im Umgang mit Fläche, Raum, Linie, Farbe, Schrift, zerlegten Bewegungsabläufen und szenischen Darstellungen. Alles, was ein Comic zu bieten hat, von computerbearbeiteten Aquarellen über aggressive Farbfeldreize bis hin zur Oberflächenhaptik als Bucherlebnis: leinengebundener Prägedruck und aufgeklebte Einlegebildern. Diese Bücher sind Leseerlebnisse für jene, die auch mit den Fingern lesen. Erlebnisse, die einen hungrig zurücklassen, sobald das Gefühl in den Fingerspitzen und die Nachbilder im Kopf verblassen. Bücher, die einen nicht loslassen.

Leider wird dieser Genuss getrübt, denn beide werden ihren jeweiligen Themen nicht gerecht. Beide Male sind ihre Subjekte stärker und vielschichtiger als ihre Gestalter. Zu lange schon hackt Anna Haifisch auf dem „einsamen Künstler im Kulturbetrieb“ herum, ohne den Blickwinkel erweitert zu haben. So wichtig sind Künstler nun auch nicht, es sei denn als Phänotypen in einer zunehmend unter Zwangsindividualisierung leidenden Gesellschaft. Max Baltinger, der in einer Auftragsarbeit der Dichterin Sibylla Schwarz (1621–1638) in einer Graphik Novel gerecht werden soll, scheitert an fehlendem Einfühlungsvermögen und Respekt vor dem Text der Dichterin. Er ist zu sehr mit sich selbst und den Schwierigkeiten einer schlüssigen Erzählung beschäftigt. Anna Haifisch, seit Jahren schon vom Kunstbetrieb umarmt, versucht mit Ironie, dieser zu entkommen. Damit ist sie selbst schon zum Künstlertyp, jener, der von außerhalb die Szene betrachtet, geworden. Da Comics aber eher der Buch- denn der Kunstmarktlogik folgen, sitzt sie zwischen beiden Stühlen. Max Baltinger ist dort am besten, wo er, ganz Comicautor, die Kontrolle über Text und Bild hat. Anna Haifisch dort, wo sie intersubjektiv wirkt, wie bei Von Spatz von 2015, ihrem Glanzstück. Seitdem ist ihre Künstler-Figur zunehmend selbstreferenzieller geworden. Selbstreferenziell kämpft auch Max Baltinger mit seiner Auftragsarbeit, dabei verheddert er sich im kleinteiligen Seitenaspekten der Dichterin. Sibylla Schwarz zieht heute noch, nach 400 Jahren, als energetisches Feuerwerk, schlau und freiheitsliebend, die Leser in ihren Bann. Es ist feministische Literatur ohne große Schnörkel, wenn es heißt: „Daß auch dem weiblichen Geschlecht / Der Pindus allzeit frey steht offen... / Daß selbst die Musen Mägde sein: Was lebet soll Ja Tugendt lieben / Und niemandt ist davon vertrieben … Musen also in jede fahren können und kein Geschlecht sie kennen …“ Ihre natürliche Kraft der Liebe grenzt ans Anarchische: „Schau an das Vieh / das sich / ohn Müh / fein pflegt zu paaren / laß uns auch fahrenden Weg / da Glücke lacht.“ Oder sie feiert das Leben, wenn Musik drogenhaft die Dinge zum Tanzen bringt: „… Hauß mir vorkam als ein Radt; die Stüle hüpften mir vohr Augen auff und nieder / die Tisch und Bäncke gleich sich regten hin und wieder; so starck ist die Music gewesen diese Nacht.“ Mitte des 17. Jahrhunderts ist sie ihrer Zeit weit voraus. Mit ihr feiert ein seinsbewusstes feministisches Ich die poetische Kraft der Gefühle, durchaus politisch, „... und wenn die Hoffart denn wird endlich untergehn / wird der Poëten Volck doch immer oben stehn ...“. Anderseits setzt sie selbstkritisch Gefühle und Ideale gegen den Willen zur Kunst: „... Als da man Trug und List bey schönen Künsten findet / hier ist Lieb und Trew / die nicht so leicht verschwindet …“, was auch Anna Haifisch interessieren könnte, die an der Kunst leidet, mit menschlichen Beziehungen hadert und (fabelhaft verpackt) in die Tierbeziehung flüchtet. Der Künstler tritt bei ihr als angstgetriebenes Wirtschaftsmodell, Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Verkauf in Personalunion auf. Ein Phänotyp der Moderne, ohne Versicherung und ohne Gott, und damit ohne Trost von außen, getrieben von einen mythischen Zwang zur Selbstverwirklichung, verstrickt im Glauben an Authentizität und Originalität. Anna Haifisch hilft sich mit ironischer Selbstdemontage. So wichtig Ironie, dieser erhabene Flug über den Verhältnissen, hier ist, so sehr ist sie bereits integraler Bestandteil des Kunstbetriebs selbst. Und bekanntlich birgt jeder Flug die Gefahr des Absturzes. Da hilft nur der Wille zur Schönheit, denn der Mensch übt den Flug der Steine, nicht den der Vögel.


Christoph Bannat



 

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https://www.zgedichte.de/gedichte/sibylla-schwarz.html


Max Baitinger: Sibylla

ISBN: 3956402812

Reprodukt 2021

176 Seiten


Anna Haifisch: The Artist: Ode an die Feder

ISBN: 3956402200

Reprodukt 2021

gebunden, 104 Seiten