14. November 2021

Elender Skribifax


Kann man theoretisch einen Roman schreiben? Gewiss. Auch praktisch einen theoretischen Roman? Giwi Margwelaschwili kann. Der Leselebenstintensee ist ein solches Werk. Es ist derart schrill abstrakt, gleichzeitig so vergnüglich hanebüchern, dass man den Hut ziehen darf. In schön blauer Leinenausgabe im Verbrecher Verlag erschienen, der sich seit geraumer Zeit dem Werk des deutsch-georgischen Philosophen Margwelaschwili widmet, dessen Äußerungsgenre eben nicht der Essay war oder die Abhandlung oder die la-la-logische Untersuchung, sondern komischerweise der Roman, Betonung liegt auf komisch. Im Leselebenstintensee, aus dem Nachlass gefischt, erklimmt eine Horde Figuren aus dem Roman, die fast wissen, dass sie in einem Roman sind, was vielleicht in diesem Moment nicht mehr stimmt (oder?), die Buchberge, um Zauberbergpersonal zu treffen in echt, denn nur dort, im Roman kann man es, und vor allem, um den sagenumwobenen Leselebenstintensee zu finden. „Da ist doch tatsächlich ein Federhalter zwischen den Wolken“, sagten welche sehr beeindruckt.

Auf der Reise selbstredend mit ihrem Verfasser, wer ist das in diesem Moment?, Zwiesprache halten, kurz: ernst genommen werden wollen, dieses Spiel ermöglicht Margwelaschwili einen ureigenen eschatologischen Take auf das Leseleben zu werfen, dabei mit ontologisch erarbeiteten Termini zu jingeln, wie die „Bibliobiologie“. Man kann sich denken, dass solches Monopoly unendlich ist & mit neuen Leser:innen von vorn beginnt. Die verstiegen-verspielten Begriffe, die Auseinandersetzung mit Spiegelbüchern (Zauberberg usf.) entfalten sich bei Der Leselebenstintensee in einem angenehmen Lesefluss, der sich seriös gibt – eine Schöpfungsmahnung zur Achtsamkeit gerade im Leseleben, nicht dass die Lebensseuche von da draußen auch Menschen in den Büchern erfasse, auch Leserschwindsucht in Konsequenz gefürchtet genannt. Sehr schön ist die dem Buch eingeschriebene Metatheorie, wenn sie sich im Roman selbst äußert, durch den Doktor Behrens zum Beispiel, eine zyklische mise-en-abyme der Leselebensrotation, „für ein Greenhorn in der Bibliobiologie vielleicht nicht ganz easy zu verstehen [...]“

Ein Romanunikat in seinem ganz eigenen Universum, außer Konkurrenz. Eine Theorie, die sich unterhaltsam aufmacht, ihrem Urheber sich bewusst zu werden. Warum nicht.


Jonis Hartmann

Giwi Margwelaschwili: Der Leselebenstintensee, Verbrecher Berlin 2021

https://www.verbrecherverlag.de/book/detail/1066

amazon