15. September 2021

Großäugige Schaulust

 

„Den Schleier zu lüften. Sie nannten es den Gott Pan erblicken.“ Arthur Machen, walisischer Exzentriker um die Jahrhundertwende, verfasste mit der Titelgeschichte ein Kultstück. Tatsächlich ist die als Teil einer Werkausgabe im Elfenbeinverlag erschienene Story, die, kunstvoll verschachtelt, Begegnungen diverser Suchender mit dem Panik verursachenden Gott erzählt, von hoher Suggestivkraft. Was man von den, das Schema wiederholenden, anderen Geschichten Machens, auch in vorliegendem Buch, nicht sagen kann. Was ist das Besondere am Großen Gott Pan? Vielleicht genügt es festzustellen, dass all die melancholischen Fäden des ausgehenden 19. Jahrhunderts hier zusammenlaufen. Das, was Poe, Stoker und andere vorbereitet hatten, schafft Machen, neu zu einer entrückten, außerzeitgenössischen Parabel zusammenzusetzen. Sie brilliert sowohl im Erzählten, also konkret Faktischen (Fiktiven), indem sie – wie so oft – die Hälfte weg- und lesendem Hirn überlässt, kombiniert mit Lupentechnik aus Rückblicken und wechselnd erzählenden Protagonisten, die wiederum im Erzählmedium springen, andererseits aber im Nichterzählten einen ebenfalls relevanten Ton anschlägt, sprich die beklemmende Atmosphäre einer samtig-trashigen Pubwelt aus Spleen und Lostness in vorrückender, Ersticken verursachender Moderne aufzeigt, die sich breitmacht wie Nebel. In Der Große Pan geht es um Wahrnehmung. Lesende tappen bis zum Schluss im Dunkeln, werden von Blitzlichtern wie Laternen ins Bild gesetzt, dann blendet die Geschichte brüsk ab, oder wird neugestartet mittels eines gefundenen Briefs Jahre danach. Die wahrnehmungsüberempfindlichen Herren laufen durch feuchte Straßen, geben sich ihren Gedanken hin, träumen von neuen Erfahrungen, sind randvoll mit jugendstilartig verrankten Erinnerungen an Waldwiesenbesuche oder ehemalige Freunde, die mysteriös aus ihrem Leben verschwunden oder vom Weg abgekommen sind. „[...] dass dieser Mann, einst sein Freund, an Handlungen teilgenommen hatte, die böse waren über das hinaus, was die Sprache auszudrücken vermag.“

Machens Sprache selbst ist verschlungen auf eine ehrliche Weise. Sie trifft in Der Große Pan auf kongruente Repräsentation der Handlung, und nur dort – doch das ist schon einiges. Joachim Kalka hat eine Übersetzungshaltung gefunden, die gerade für die abstrusen Volten der Erzählprogression passt. In den anderen Stories wird aus diesem Zusammenfluss ein aufgeweichteres Wiederkäuen. Der Große Pan jedoch bleibt ein zeitloser Streich. „Ich wusste: Ich hatte in die Augen einer verlorenen Seele geschaut, Austin, die äußere Form dieses Mannes war geblieben, aber in seinem Inneren war die Hölle. Wütende Lust und Hass wie ein Feuer und der Verlust jeglicher Hoffnung und ein Entsetzen, das in die Nacht hinauszukreischen schien, obwohl die Zähne zusammengebissen waren, und die tiefe Schwärze völliger Verzweiflung.“

Jonis Hartmann


Arthur Machen: Der Große Pan. Elfenbein Verlag, Berlin 2021

amazon