27. Februar 2004

Alte Männer und ein junges Mädchen

 

Der Reifeprozess der Protagonistin erscheint wenig kohärent, was damit zusammenhängen könnte, dass Hermans - so psychologisch-raffiniert er sonst zu schreiben vermag – Schwierigkeiten hatte, sich in sie hineinzuversetzen.

 

 

 

 

 

Die Konstellation ist bekannt, auch wenn der sonst obligatorische Sex in dem Roman „Au Pair“ von Willem Frederik Hermans nur im Kopf der Protagonistin eine Rolle spielt. Der niederländische Autor, der in Deutschland erst seit einigen Jahren bekannt ist, da er sich zu Lebzeiten weigerte, seine Werke übersetzen zu lassen, wählt hier die Perspektive einer Frau und leider muss man sagen, dass das keine sonderlich gute Idee war.

Die neunzehnjährige Paulina kommt aus Vlissingen in der niederländischen Provinz nach Paris, um dort Französisch und Kunstgeschichte zu studieren. Da ihre Eltern ihren Aufenthalt nicht vollständig finanzieren können, nimmt sie eine Stelle als Au-pair an, zuerst bei einem Anwaltspaar, das vom Autor als grotesk-komisches Beispiel bürgerlicher Arroganz gezeichnet wird. Beispielsweise warnt die Hausherrin Paulina vor den Gefahren der Ausnutzung, während sie ihr gleichzeitig einen Verschlag auf dem Dachboden zuweist, den sie zudem mit ausschließlich männlichen Immigranten aus Afrika teilen muss. Auch wenn der Aufenthalt in dieser Familie durchaus amüsant geschildert wird, erscheint Pauline selbst seltsam leblos und distanziert. Sie wirkt bemüht reflektiert, was sich unter anderem in langatmigen Überlegungen zum Ursprung der arabischen Musik zeigt und für eine Neunzehnjährige, die sich gerade zum ersten Mal längerfristig allein in einem anderen Land aufhält, nicht sonderlich authentisch wirkt.

Nachdem sich die erste Au-Pair-Stelle als unhaltbar herausgestellt hat, findet Paulina neue Arbeitgeber, die ihr jedoch zunächst keinerlei Aufgaben zugedacht zu haben scheinen. Sie wird mit Geschenken überhäuft und muss sich im Gegenzug nur gelegentlich mit dem alten General und seiner Familie unterhalten. Da sie permanent ein schlechtes Gewissen plagt, keine angemessene Gegenleistung für die ihr zugedachte Großzügigkeit zu bieten, schlägt sie von sich aus vor, einen Koffer voller Geld in die Schweiz zu schmuggeln, um der Familie zu helfen. Da Paulinas Vorschlag ohne Zögern angenommen wird, fragt sie sich, ob es möglich sei, „dass die Familie gar kein Au-pair-Mädchen gesucht hatte, [...], sondern eine Person anderer Nationalität mit harmlosem Äußeren, die einen Koffer voll kompromittierender Papiere über die Grenze schmuggeln konnte.“

War die Beschreibung der Familie als Beispiel einer dekadenten Bourgeoisie bis zu diesem Zeitpunkt eher skurril-unterhaltsam bis teilweise langatmig, wird die Handlung jetzt geradezu undurchschaubar. Paulina, die weiterhin an das Gute im Menschen allgemein und ihrer Gastfamilie im Besonderen glaubt, sieht sich einer Vielzahl von Situationen ausgesetzt, die sie nicht mehr verstehen und einordnen kann. Der ihr dabei zugeschriebene Reifeprozess erscheint jedoch nur wenig kohärent, was damit zusammenhängen könnte, dass Hermans - so psychologisch-raffiniert er sonst zu schreiben vermag – Schwierigkeiten hatte, sich in seine junge Protagonistin hineinzuversetzen und er sie daher eher aus der leicht verklärten Perspektive eines alten Mannes darzustellen vermochte. Besonders Paulinas Überlegungen vor einer möglichen Liebesnacht mit einem der Söhne des Generals, der von ihr als „ein noch recht attraktiver Mann“ bezeichnet wird, lassen männliche Wunschvorstellungen erkennen.

Da dieser Roman trotz einiger gelungener Beschreibungen des Pariser Bürgertums insgesamt etwas enttäuschend ist, kann man nur hoffen, dass er die Leser nicht vor der Lektüre weiterer Werke des Autors abschreckt – das wäre durchaus schade.

 

Katrin Zabel

 

Willem Frederik Hermans, Au Pair, aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert, Gustav Kiepenheuer Verlag 2003 (Originalausgabe 1989)