2. August 2021

Schwules Simbabwe



Homosexualität hat in Simbabwe seinen Ort im Verborgenen. Zwei Romane verdienen es, vorgestellt zu werden.

Tendai Huchu ist der Autor des einen. In Simbabwe geboren, lebt er als studierter Bergbauingenieur im schottischen Edinburgh, ist dort als Podologe tätig und auch im akademischen Umfeld gut vernetzt, wie sein 2015 erschienener und im Peter Hammer Verlag in deutscher Fassung vorliegender Roman Maestro, Magistrat und Mathematiker zeigt. Debütiert hatte er 2010 mit dem ein Jahr darauf ebenfalls bei Peter Hammer auf Deutsch erschienenen Roman Der Friseur von Harare, der das Soziotop eines Coiffeurladens nutzt für ein Zeit- und Sittenbild aus den letzten Jahren des korrupten Mugabe-Regimes. Darin arrangiert sich der verdeckt schwul lebende Friseurneuling Dumisani mit der berufserfahrenen Protagonistin Vimbai, in deren klatsch- und tratschintensivem Friseurladen schwarze und weiße Eliten meist weiblichen Geschlechts aufeinandertreffen. Die Situation eskaliert, als Veteranen des Befreiungskampfs und Mugabes Parteigänger den Laden stürmen.


Von der deutschen Kritik wurde Der Friseur von Harare wohlwollend aufgenommen und durchaus breit rezipiert. Hans Hütt lobte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das „witzige, kluge Debüt“ und Manfred Loimeier hob den gelungenen Spagat zwischen Gesellschaftskritik – hier der an einer als, so die Herrscherclique, „unafrikanisch“ und „Seuche des weißen Mannes“ empfundenen Homosexualität – und einer Schreibweise hervor, die „salopp und leger in Form eines vergnüglichen Melodrams“ daherkommt. Auch beim Lesepublikum kommt der Roman an. Gestartet mit einer Auflage von 1.500 Exemplaren, war die zweite Auflage der Hardcover-Version Anfang 2019 vergriffen. „Er war damit neun Jahre lang lieferbar, das ist ein ungewöhnlich langer Zeitraum“, meint Monika Bilstein vom Peter Hammer Verlag. Eine E-Book-Ausgabe beim Unionsverlag ist seit sechs Jahren auf dem Markt. In Simbabwe verlegte das erste Verlagshaus am Platz den Roman, Weaver.


Der andere Roman ist Gunther Geltingers Hardcover-Titel Benzin, 2019 erschienen und damit nach langer Zeit der erste im Original deutsche Erzähltext in Buchlänge über das afrikanische Land. Seine Storyline: Alexander und Vinz steckt in einer Partnerschaftskrise, der sie mit einer Selbstfahrertour durch Südafrika zu begegnen hoffen. Vinz’ Leidenschaft für Wasserfälle und ein ominöser Autounfall veranlasst das Paar, ihre Pläne zu ändern und nach Simbabwe zu fahren. Unami, das Opfer des Unfalls, für den sich die beiden Deutschen verantwortlich (und sich selbst an dem Vorfall schuldig) fühlen, ist dafür der Beweggrund und bald der ominöse Dritte, dessen eigene Motive und Motivationen unklar bleiben, weil Geltinger es unterlässt, die Geschehensabfolge aus dessen, Unamis Perspektive zu schildern.


In Benzin gelingt eine Verzahnung von Selbstreflexivität, simbabwischen Figuren und aktuell-zeithistorischen Hintergründen. Das in der alphabetisch organisierten Betitelung mit „Victory“ überschriebene viertletzte Kapitel fügt die landesweiten Proteste aus dem November 2017 gegen einen „sichtlich vom Alter gekennzeichneten Präsidenten“ und „die erhebliche jüngere First Lady“ in das fiktionale Handlungsgeschehen ein. Unami wird bei all dem als Figur skizziert, auf die insbesondere der Schriftsteller Vinz den Zugriff verliert. Aus dem Unfallopfer, um das sich sein Partner Alexander engagiert kümmert, wird ein am Ende diagnostiziert HIV-positiver Wegbegleiter, auf dessen „Meisterschaft der Täuschung“ Vinz allergisch reagiert: „Der Unami, der sich ihnen während der Reise gezeigt hatte“, hält er fest, „war die perfekte Kopie eines Originals, das niemand mehr kannte, vielleicht nicht einmal er selbst“.


Der Figur Unami widmet das weiße Paar vorher ambivalente sexuelle Fantasien. Vinz und Alexander befördern seine Rückkehr an seinen Heimatort im Norden Simbabwes  und bringen eine Weiterbehandlung und gemeinsame Zukunft Deutschland ins Spiel. Schließlich wähnen sie ihn als Touristenführer, der mit einer weißen Reisenden aus den Niederlanden nach Malawi weiterzieht. Zunehmend treibt der simbabwische Mann einen Keil zwischen das Paar:


„Vinz neidete Alexander den Teil von Unami, der sich ihm verweigert hatte, nicht nur wegen seines hartnäckigen Ressentiments, nein, er selbst war der Grund, sein eigenes Sosein, das den Menschen, der sich hinter dem Schauspieler Unami verbarg, verhindert hatte. Dieser andere Unami wäre nur möglich, wenn es ihn, Vinz, überhaupt nicht gäbe.“


Dennoch – auch um den Preis der Eliminierung seiner selbst – bleibt die Vorstellung, einen „originalen Unami“ (be)schreiben zu können, für Vinz eine Option: auch weil „der ihm nun ganz klar vor Augen stand. Er würde die eigentliche Figur seines Romans sein“. Allerdings sind die Folgen einer Zentralsetzung der Figur des Unami für den schreibenden Protagonisten nicht nur verheißungsvoll. Vinz erkennt in der Anlage des eigenen Schreibens über den afrikanischen Anderen auch ein Risiko: „das lässt Unami sich nicht entgehen, den Sturz des Autors, der ihn zur aidskranken Figur degradiert hat, von den Klippen des eigenen Romans“.


Benzin verfolgt mit seiner subtil die Gegenwart Simbabwes und seiner Menschen beschreibenden Erzählung eine Agenda, die über Tendai Huchus Friseur-Roman hinausgeht und diesen, würde man beide zusammenlesen, ergänzt und radikalisiert. Man kann es befreiend und wegweisend für die LGBT-Bewegung im südlichen Afrika oder als eine ungebührliche neokoloniale Akzentsetzung, für die sich Vinz als Schriftstellerfigur nicht zu schade ist: Geltingers Benzin, der in Deutschland verfasste und verlegte, daraufhin auch, wie Huchu, positiv besprochene Text möchte wohl auch eine Duftmarke in Simbabwe setzen, wenn er sich das Anliegen simbabwischer Schwuler zu eigen macht. „Erst brüllt er dem Diktator seinen Hass entgegen“, heißt es über einen Mann, den einer der deutschen Reisenden kennenlernt, „dann geht er ficken, was für einen Homosexuellen in diesem Land auch eine politische Handlung ist. Alexander pellt ihn aus der Nationalflagge, darunter schwillt ihm der Zorn einer ganzen Generation junger Männer entgegen, die nie ein Recht auf ihr Begehren hatten“.


Nur – leider – kommt der Roman in Simbabwe bislang nicht an. Das erste für eine englische Übersetzung angefragte Verlagshaus am Platz hatte am 23. März 2020 abgewunken. Es war, wenn man so will, eine Absage mit Ansage. „Ich weiß jetzt nicht, inwiefern die homosexuelle Beziehung der beiden Hauptprotagonisten thematisiert wird“, schrieb mir ein diplomatenkreiselnder Kontakt sechs Tage zuvor, am 17. März, „aber: Simbabwe gehört zu den Ländern, die Homosexualität zwischen Männern unter Strafe stellen. Insofern könnte die Reaktion auch aus diesem Grund negativ ausfallen.“

Bruno Arich-Gerz



Tendai Huchu: Der Friseur von Harare. Wuppertal: Peter Hammer Verlag 2011 / E-Book: Berlin: Unionsverlag 2015. (14,99 Euro)

Gunther Geltinger: Benzin. Berlin: Suhrkamp 2019. (24,00 Euro)