Warten vor den Toren Bohemias
Die Affen Gottes, das sind die Möchtegern-Künstler. Dilettanten im schlechtesten Sinne; angepasst, unbegabt und selbstherrliche Bohemiens. Wyndham Lewis’ (1882–1957) über 700 Seiten starkes Werk, eine Art innerer Monolog – und ist der, seit Ulysses, nicht Kennzeichen der Moderne – liegt jetzt erstmals auf Deutsch vor, in einer grandiosen Übersetzung. Jede Seite ist ein Gewinn. Eine Fundgrube von Wort-Form-Findungen, spitzfindigen Ideen und szenischen Bildern. Dabei geht es um nichts Geringeres als das Warten vor den Toren Bohemias. Die Affen Gottes ist ein Abgesang auf den Glauben einer Avantgarde. Die verkitschten Ansprüche eines avancierten Bürgertums an eine verbrauchte Avandgarde unterzieht Wyndham einem Säurebad aus Sarkasmus, Ironie und Satire. Und Wyndham, Maler, Herausgeber und Schriftsteller, muss es wissen, denn er war selbst eine Zeit lang hoch gehandelter Avantgardist und Begründer des Vortizismus – der englischen Variante des Futurismus. 1914/15 gründete er das Kunstmagazin BLAST, bestehend aus Statements, Pamphleten und Gedichten (u.a. sind hier Ezra Pounds antisemitischen Äußerungen erschienen).
Nach dem Krieg findet Wyndham keinen Anschluss an sein altes Künstlerleben. Doch er veröffentlicht weiter; kunsttheoretische Schriften, Kritiken, den Romane Tarr und eben Die Affen Gottes. Und malt nicht unbedeutende Bilder, das wohl bekannteste ein Porträt von Edith Sitwell. Die Affen Gottes erschien seinerzeit in Kleinstauflage, für umgerechnet ca. 200 Euro und kann als taktischer Zug, der der wohlhabende Leserschaft gezielt den Spiegel vorhalten wollte, verstanden werden. Wyndham Lewis begeisterte sich zeitweise, wie auch andere Futuristen, für den Faschismus und äußerte sich antisemitisch.
Die Affen Gottes erschienen 1930 und zeichnet eine durch den Weltkrieg vom Glauben abgefallene Generation. Damit umspannt er drei Jahrzehnte. Am ehesten ist dieses Glanzstück als Satire zu lesen, die eine Gesellschaft beschreibt, die an keinen alten und keinen neuen Kunst-Gott mehr zu glauben vermag. Zagreus, heißt einer der Hauptdarsteller, neben Pierpoint (der nie auftritt und immer nur zitiert wird), ist ein kindlicher Gott (neben seinem Vater Zeus sitzend), der mit Blitzen um sich wirft. Eine andere Legende beschreibt ihn als unreinen Vorfahren des Menschen, der sich jederzeit in Tiergestalten verwandeln konnte, aber, beeindruckt von seinem Spiegelbild die Vorsicht vergaß, worauf die Titanen sich auf ihn stürzten. Einer dieser Blitze trifft Dan Boleyn, woraufhin dieser Künstler werden will und sich sogleich auf die Suche nach einem Atelier macht, ohne das man eben kein Künstler ist. Dazu passt die Hoffnung auf eine Erbschaft, also die Frage, wie man mit möglichst wenig Aufwand ein bequemes Leben führt. Das kennen wir, mit zunehmenden Jahren in der Kunstszene, wie sich durch Erbschaften hier Welten trennen. Wen sonst aber könnten Die Affen Gottes heute noch interessieren? Die Zeit, als Lebensentwürfe hoch im Kurs standen, ist vorbei, als Menschen begeistert in den Krieg zogen auch (oder ist mindestens einem Drohnen gesteuerten Pragmatismus gewichen). Europa hat die große Schande WK I + II inklusiv Holocaust zwar hinter sich, diese steckt ihr aber immer noch in der DNA. Was also bleibt der Kunst außer einem mit ihr einhergehenden ästhetisch-kultischem Sorgen an Lebensentwurf? Mit Wyndham Lewis ein zu guter Literat. Hier hat Zagreus also den Richtigen getroffen. Einen, der zwar nicht vom großen Geschichtsradar erfasst wurde, die Moderne des letzten Jahrtausend aber mit prägte, am Ende bitter enttäuscht, aber mit scharfer Waffe – seiner Kunst.
Eine einfach schöne, wunderbar schlichte, schwarz-weiße Buchgestaltung mit Vignette unter den Kapiteln von Wyndham Lewis machen das Buch auch zu einem sinnlichen Erlebnis. Dazu kommt ein umfassend erhellendes Nachwort von Paul Edwards sowie die glänzende Übersetzung aus dem Englischen von Jochen Beyse und Rita Seuß.
Christoph Bannat
Wyndham Lewis: „Die Affen Gottes“
Übersetzt von Jochen Beyse und Rita Seuß
Mit einem Nachwort von Paul Edwards
Diaphanes, Zürich 2020
776 Seiten, 40 Euro