Grundsicherung
Was haben Sahra Wagenknecht (Die Linke, Mitglied des Bundestags), Malu Dreyer (SPD, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz) und Monika Gruetters (CDU, Kulturstaatsministerin) gemeinsam?
Carsten Klook traktierte alle drei im Oktober und November 2020 mit seiner Story „Ein übermächtigtes Nichts“, die unhaltbare Zustände beim Bezug von Grundsicherung aufzeigt und einen tiefen Blick ins Prekariat eines Künstlerlebens zulässt, während PolitikerInnen sich in der Öffentlichkeit als Wohltäter für die Kultur und das Menschenwohl geziemen. Dies kam dabei heraus:
6.10.2020
Liebe Sahra Wagenknecht,
ich möchte mich für Ihre Aufrechterhaltung einer starken linken Position in der Öffentlichkeit bedanken und genieße es, wenn ich Sie im TV zu Debatten und Diskussionen gelegentlich sprechen hören kann. Ich bin dann immer sehr beeindruckt von der Klarheit und Konsequenz Ihrer Gedankenführung. Eine Wohltat inbetween all the phoneys, um es mal mit J.D. Salinger zu sagen.
Ich stamme aus einer Familie mit starken Bezug zur DDR, obwohl ich 1959 in Hamburg geboren wurde. Meine Eltern flüchteten 1953 zu Hoch-Zeiten der Aktion Rose von Sellin auf Rügen über Berlin in die Hansestadt, weil ihnen alles genommen wurde, obwohl sie keine Unternehmer waren. Trotzdem blieben sie links, allerdings orientierten sie sich im Westen an der SPD und Willy Brandt. Sehr oft reisten wir in den 60er- und 70er-Jahren nach Rügen und Rostock, um die Verwandten zu besuchen. Ich verbrachte dort viel Zeit in meiner Kindheit und Jugend.
Ich wurde Schriftsteller sowie Kulturjournalist und habe bereits Ende Januar 2020, als es seitens der WHO noch hieß, das Infektions-Risiko sei „moderat auf weltweitem Niveau“, in böser Vorahnung angefangen, meine Autobiografie zu schreiben, da ich neben multiple Sklerose noch vier weitere Erkrankungen habe und COVID-19 mich in beträchtlichem Maße schädigen könnte, wie ich fürchte.
Mein Buch umfasst mittlerweile 1.000 Seiten und muss jetzt von mir intensiv überarbeitet werden. Da hakt es gerade etwas, weil ich eine Pause machen musste und meinen Rhythmus noch nicht wiedergefunden habe. Um erneut in einen Arbeitsmodus und Schreibfluss zu kommen, habe ich erst einmal eine kurze Story für die Anthologie der Kulturbehörde „Hamburger Ziegel“ verfasst, die ich Ihnen gerne senden möchte.
„EIN ÜBERMÄCHTIGTES NICHTS“ ist der Titel meiner Story. Das darin behandelte Thema liegt mir sehr am Herzen und beschäftigt sich mit der Grundsicherung.
Vielleicht haben Sie irgendwann die Zeit und Muße hineinzulesen. Würde mich freuen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Verständnis.
cK
12.10.2020
Lieber Carsten Klook,
haben Sie vielen Dank für Ihre Mail und Ihre sehr freundlichen Zeilen. Rückmeldungen wie die Ihrige sind mir sehr wichtig, umso schöner, wenn diese derart positiv ausfallen.
So interessant Ihre Story auch für mich klingt, leider werde ich es nicht schaffen hineinzulesen. Ich arbeite gerade mit Hochdruck an einem eigenen Buchprojekt, neben den vielen Terminen im Rahmen meines Mandates schaffe ich es daher leider zeitbedingt nicht. Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen keine positive Rückmeldung geben kann. Ich hoffe, dass Sie mir trotz alledem gewogen bleiben und wünsche Ihnen selbstverständlich viel Erfolg mit der Autobiografie. Es scheint als hätten Sie viel Interessantes zu erzählen. Lassen Sie sich von kleinen unfreiwilligen Pausen nicht demotivieren, manchmal sind es genau diese Pausen, die einem anschließend den notwendigen Rückenwind für das weitere Schreiben verschaffen, diese Situationen kennen Sie als Schriftsteller sicher längst.
Seien Sie herzlich gegrüßt,
Sahra Wagenknecht
6.10.2020
Liebe Frau Dreyer,
ich bewundere Ihren Umgang mit der multiplen Sklerose, an der ich ebenso erkrankt bin. Auch ich habe meinen Weg gefunden, einigermaßen gut damit klarzukommen. Ich bin Schriftsteller und war lange Kulturjournalist.
Bereits Ende Januar 2020, als es seitens der WHO noch hieß, das Corona-Infektionsrisiko sei „moderat auf weltweitem Niveau“, habe ich in böser Vorahnung angefangen, meine Autobiografie zu schreiben, da ich neben multipler Sklerose noch vier weitere Erkrankungen habe und COVID-19 mich in beträchtlichem Maße schädigen könnte, wie ich fürchte.
Mein Buch umfasst mittlerweile 1.000 Seiten und muss jetzt von mir intensiv überarbeitet werden. Da hakt es gerade etwas, weil ich eine Pause machen musste und meinen Rhythmus noch nicht wiedergefunden habe. Um erneut in einen Arbeitsmodus und Schreibfluss zu kommen, habe ich erst einmal eine kurze Story für die Anthologie der Kulturbehörde „Hamburger Ziegel“ verfasst, die ich Ihnen gerne senden möchte.
„EIN ÜBERMÄCHTIGTES NICHTS“ ist der Titel der Story. Das darin behandelte Thema liegt mir sehr am Herzen und beschäftigt sich mit der Grundsicherung, die ich neben meiner kleinen Rente selbst beziehe. Autofiktion nennt sich meine literarische Gattung.
Vielleicht haben Sie irgendwann die Zeit und Muße hineinzulesen. Würde mich freuen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Verständnis.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Klook
… und schob dann am 26.10.2020 noch eine kurze Mail hinterher:
Dear Malu,
sorry for disturbing the silence … but: What about my writing?
In the meantime:
"One More Cup Of Coffee" – Bob Dylan
https://www.youtube.com/watch?v=ujgqOgMIwfA
"I Got A Catholic Block Inside My Head" – Sonic Youth
https://www.youtube.com/watch?v=xfvqxC-3ISU
Waiting for the sun to come …
cK
Malu Dreyer antwortete mir tatsächlich persönlich mit einem per Hand unterschriebenen einseitigen Brief vom 30.10.2020:
Sehr geehrter Herr Klook,
ich danke Ihnen für Ihre E-Mail vom 6. Oktober 2020 mit dem als Anlage beigefügten Mnuskript „Ein übermächtigtes Nichts“. Bei nächster Gelegenheit werde ich mich damit in aller Ruhe beschäftigen.
Was Ihren Brief betrifft: Es hat mich sehr gefreut zu lesen, dass auch Sie Ihren ganz persönlichen Weg gefunden haben mit der Erkrankung multiple Sklerose umzugehen. Dass Sie sich entschlossen haben, Ihre eigene Autobiografie zu schreiben, finde ich eine tolle Idee. Ich bin mir sicher: Sie werden mit Ihrer eigenen Geschichte die Menschen erreichen. Betroffene, die mit multipler Sklerose oder einer ähnlichen Erkrankung leben müssen, werden aus Ihren Zeilen Mut und Zuversicht und vor allem Kraft schöpfen. Das ist in diesen Tagen ganz wichtig, denn bedingt durch die Corona-Pandemie ist die Situation für uns alle momentan nicht einfach. Aber besonders schwierig ist es natürlich für diejenigen, die aufgrund gesundheitlicher Probleme oder Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko tragen.
Sie persönlich, lieber Herr Klook, möchte ich darin bestärken, weiterhin optimistisch und selbstbestimmt ihren Lebensweg zu beschreiten. Erhalten Sie sich bei allen Hochs und Tiefs Ihre Lebensfreude und Kreativität. Dafür wünsche ich Ihnen persönlich von Herzen alles Gute, viel Kraft und passen Sie gut auf sich auf!
Mit herzlichen Grüßen
Ihre Malu Dreyer
(letztere drei Worte handschriftlich)
6.11.2020
Sehr geehrte Frau Gruetters,
dass Sie sich so vehement für die Nöte und Rechte von KünstlerInnen einsetzen, hat mich aufhorchen lassen, aber auch ein wenig verärgert. Denn: In meinem Fall ist es der Staat, der mich auch meiner noch so geringen Honorare beraubt. Ich bin fünffach vorerkrankt, arbeite berentet weiter als Schriftsteller und war Kulturjournalist (u.a. für die Financial Times Deutschland, ZEIT online, die tageszeitung u.v.a.).
Inzwischen beziehe ich eine kleine Rente von 465.- Euro und stocke mit Grundsicherung auf. Genau das ist das Problem: Jeder Cent, den ich dazu verdiene, meistens über die VG Wort, wird mir vom Amt abgezogen und es bleibt mir … tatsächlich … nichts. Eigentlich lohnt es sich nicht mehr, überhaupt noch aus dem Bett aufzustehen. Corona ist daran wirklich nicht schuld.
Es geht für mich in dieser Krise nicht einmal um Subventionen aus einer Corona-Hilfe, sondern darum, dass mir – und ich bin da nur ein Beispiel unter Tausenden – nicht auch das noch genommen wird, was man erarbeitet hat und einem zusteht.
Das sind unhaltbare Zustände, die in dieser Zeit besonders schmerzen. Der Gedanke Warum noch arbeiten, wenn sowieso alles egal ist?! kann nicht die Marschrichtung gesellschaftlicher Realität und einer jeden Zukunftsplanung sein …
Ich möchte Ihnen hiermit meine 15-seitige Story senden, die diese Umstände im Leben mit Grundsicherung verhandelt. Vielleicht finden Sie Zeit und Muße diese irgendwann einmal zu lesen …
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Carsten Klook
19.11.2020
Sehr geehrter Herr Klook,
vielen Dank für Ihr Schreiben an Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters. Ich wurde um Übernahme der Antwort gebeten.
Da Ihr Anliegen in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) fällt, habe ich Ihr Schreiben an das dort für Grundsicherung im Alter zuständige Fachreferat weitergeleitet, verbunden mit der Bitte, Ihnen Antwort zu geben. Die Kontaktadresse der betreffenden Unterabteilung lautet: Vb@bmas.bund.de
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Darüber war ich verärgert, wurde ich doch vom Schriftsteller zum bloßen Grundsicherungsfall degradiert, zu einem Rentner, der ich ja auch bin. Aber einer, der nur einem Hobby nachgeht, ohne sonstige Ambitionen oder Vorgeschichten.
Eigentlich hatte ich gehofft, auch etwas Geld aus den Corona-Fördertöpfen für Künstler abgreifen zu können …
Aber das war wohl nix. In den behördlichen Zuständigkeiten kann man als verwinkelt-vielseitiges Wesen so schön passgenau verschwinden, direkt in den Schlitz einer Abseite von Schublade.
Mein Leben in der BRD vor und nach Corona … eine über tausendseitige Schmähschrift … not coming soon, but somewhat somewhen in summertime.
Carsten Klook
Ein übermächtigtes Nichts
taz 28. Dezember 2020 https://taz.de/!5736165/