12. Dezember 2020

Urban-Rural-Linkage


„We proposed...“ schreibt Xu Tiantian, Architektin der beispiellosen Ertüchtigung eines ländlichen Tals in Chinas Zheijiang Provinz durch sogenannte „architektonische Akupunktur“. Dass diese zunächst merkwürdig anmutende Metapher tatsächlich aufgeht, die Gebäude ihres Pekinger Büros – anders als sonstige Projekte dieser Firma – im Songyang Tal funktionieren, wie aus dem Tal selbst gewachsen, ist eine völlig verblüffende Frucht der Lektüre der „Songyang Story“ bei Park Books.

Ursprünglich aus einem Ausstellungskatalog hervorgegangen, ergänzt um Interviews mit Tiantian und Statements der KuratorInnen / HerausgeberInnen, gewinnt diese Dokumentation in Buchform nicht nur Sympathien durch die „freundlichen ländlichen Gebäudeinterventionen“, sondern vor allem durch eine umsichtige Fotografie, die völlig konträr zu den Gepflogenheiten heutiger Hochglanzablichtung, hauptsächlich die Menschen in der Vordergrund stellt. Theateraktivitäten, Kochen, Bücherlesen, in der Tofufabrik dem Handwerk nachgehen oder hinter dem Baum verstecken als Kind: Das Konzept von Xu Tiantian setzt sich im Medium Buch fort. Architektur als lokale Synergie, nicht als Klimaanlage ferner Vorschläge von akademistischer Provenienz.
Im Land der Hakka, die ihrerseits große Architekturen hervorgebracht haben – einflussreich bis heute die häuslichen Rund-Einfassungen der Tolous – geht Tiantian zurück zu den einfachsten Materialien vor Ort, bindet hohen Bambus zusammen, als wachsende Krone eines Open-Air-Theaters, schafft transparente Pavillons in Teeplantagen aus simpelsten Bambusrohrverbindungen, kein Glas, kein Kunststoff nirgendwo, zitiert immer wieder Louis Kahns Fischer House mit Holzbauten, die zwar nicht um Kamine und Abzüge errichtet sind, dafür um Gemeinschaftstische wie z.B. die Mensa in jener Tofufabrik.

An verschiedenen Stellen im Tal lässt Xu Tiantian Gebäude entstehen, die so zurückgenommen sind, dass sie nicht zu erkennen sind. Füllungen in den Dörfern sind nicht zu unterscheiden von den alten Häusern, erst auf den zweiten Blick scheinen die Interventionen durch. Dabei ist die Architektur aber keineswegs zurückhaltend, sondern einfach intelligent in Bezug auf Raumumfriedung wie Vorder-Hintergrundausbildung. Als beispielhaft mag dafür der Umgang mit Geländern gelten: an einer Brücke bestehen die Füllstäbe aus Fahrrädern, es fällt kein bisschen auf, schafft aber eine blickliche Vertrautheit, die jedem Neubau zunächst abgehen würde.

Auch in ihren Wohngebäuden, den Shangtian Homestays, stechen Balkongeländer aus sehr detaillierten Stäben sofort ins Auge, als hätten sie die Bewohner selbst angebracht. So gelingt eine Nutzbarmachung, eine Raumbelegung, die ein an sich Jahrzehnte dauerndes bewohnerliches Inbetriebnehmen / Umwachstum vorwegnimmt. The Songyan Story sollte Blaupause sein für jedes bauliche neue Projekt, das mit Bäumefällen beginnt.


Jonis Hartmann


Feireiss, Commerell [Hg.]: The Songyang Story. Park Books. Zürich 2019