11. Oktober 2020

Boom und Klassik

 

Die Nachkriegsmoderne ist baulich gesehen eine schwierige Zeit. Bauten stehen und fallen, die historische Perspektive auf sie wechselt ebenfalls mit jeder neuen Generation. In der Ostschweiz hat das Büro Danzeisen + Voser fast im Alleingang jene Epoche bestritten und bis tief in die 80er Jahre hinein zu praktisch allen Bautypen gearbeitet. An ihrem umfangreichen Werk, nun als Monografie von Katrin Eberhard vorgelegt, erläutert sich exemplarisch jenes „Stehen und Fallen“ der Gebäude.

Durch gute Beziehungen in permanenter Auftragslage sich befindend kann das Büro der beiden Partner, die unabhängig voneinander agieren, bis zum Schluss Verpflichtungen eingehen. Viele jener Aufträge sehen maschinell bearbeitet aus, als würde das Büro tatsächlich wie eine Firma in der Produktion agieren. Ein Dienstleister, der das Angefragte macht, ganz böse überspitzt: ein Auftragskiller. Doch das stimmt natürlich nicht, soll nur eine bestimmte Haltung/Herangehensweise illustrieren. Denn die herausragenden Bauten oder sagen wir Lösungen von Danzeisen + Voser gibt es auch. Eberhard behandelt sie in diesem Buch, das mehr Panorama als Kommentar ist, gleichwertig zu den „abgearbeiteten“, eher maschinellen Kubaturen rund um St. Gallen. Bauten wie die City Garage zum Beispiel sind eine Sternstunde. Eine gelungene Adaption amerikanischer Automobilitätsverbeugung zu Zeiten, da Design besonders des Verkehrs noch eine hohe Kunstfertigkeit barg. Die City Garage ist ein Königreich des gesuchten Retro. Noch besser, im Sinne einer wirklichen technischen Innovation, nicht bloß Adaption, und vielleicht Höhepunkt im skulpturalen Schaffen Danzeisen + Vosers, ist die Gummiband Weberei. Ein Klassiker des dünnen Schalenbaus, gewagterweise im Spritzbetonverfahren vor Ort hergestellt. Sehr dünn und mit den filigranen Glaseinwebungen der Halle in Serie geschaltet, fast ein wenig Heinz Isler oder Félix Candela. Dennoch ein vollkommen eigenständiger Beitrag des Büros, der zu Recht als ihr Hauptwerk gefeiert wird.

Das Buch, das richtigerweise die Bauepoche, von der wir sprechen, mit ihren sich „als Energieschleudern“ erwiesenen, häufig brutalen Setzungen, als „einen schweren, aber oftmals unterschätzten Stand habend“ bezeichnet, schließt mit einem umfangreichen Werkkatalog des nicht immer experimentierfreudigen Büros ab. Hier zeigen sich im Prinzip sämtliche Lösungen, die überall in der Welt  in gleicher Klimazone aus genau jener Zeit stammen. Sie zu bewerten nach einem Erhaltenswert-System, fällt schwer. Es fehlen zudem Bilder aus heutiger Zeit zu den Projekten, sodass sie lediglich in ihrem jungfräulichen Status präsentiert werden, der nicht zu vernachlässigende Zeitwert von Architektur somit ausgeblendet wird. Jener Zeitwert ist erwiesenermaßen nicht besonders hoch gewesen in jener boomenden Nachkriegsmoderne, vieles bröckelt, zerfällt oder ist ineffizient auf antigestalterische, antiqualitative Weise, sodass genauso wie heute das Fallen von „Klassikern auf der Stelle“ zu den eher raren Glücksfällen gehört. Dies Buch bringt die Klassiker, zeigt aber auch ihr Verhältnis zum Gesamtoutput auf. Auch nach einer Revision wird die Nachkriegsmoderne mit Exponenten wie Danzeisen + Voser ihren schwierigen Stand nicht abschütteln können.

 

Jonis Hartmann

 

Katrin Eberhard: Danzeisen + Voser. Bauten und Projekte 1950–1986, Scheidegger Spiess Zürich 2020