2. September 2020

AUF EIN BAMBI!

 

Unermüdlich, unverwüstlich treibt Friederike Mayröcker ihr unverwechselbares lyrisches Eigen-Idiom seit Jahrzehnten schon durch den Raum. Hochgradig artifiziell, mitunter schwer zu entziffern, aber stets überraschend ragt in ihrem neuen Buch da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete, bei Suhrkamp verlegt, eine einsame Zuschnapp-Qualität heraus. Das tagebuchartige Notieren geht einher mit grafisch anspruchsvollen Setzungen sowie jederzeit außer Kraft gesetzter „Rechtschreibung“, grammatischen Korsagen und nur scheinbar willkürlichem System aus Abbrüchen, Dekonstruktion, Versandung. Wenn auch inhaltlich frei und ungebunden, so folgt doch die Notation jenem streng ausgeklügelten Mayröcker-System der Marmelade-Produktion, in einem musikalischen Sinne. Die Texte klingen auf allen Ebenen. Mitunter auch selbstreflektierend:

„schreiben bedeutet indes nur da-sitzen und vollziehen“, schreibt sie.

Und „die worte als worte ausstellen, ohne ihren sinn zu entfalten“.

Neben dem „fortpflanzenden auge“, das wie vollautomatisiert hantiert, ist es genauso das Myzel einer wachsenden sprachlichen Möglichkeitsstruktur, die sich unterm wie über einem herkömmlichen Sinn-Verständnis fortpflanzt. Das Wetter der Begebenheiten wird zu einem stream of unconsciousness, in der präzisen Gestaltung jenes Zufalls bzw. Zuschnappens. Der Text rastet ein.

Mayröcker liebt es in da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete mit Anglizismen und Neologismen zu operieren, sie neben Begegnungen mit KünstlerInnen, Erinnerungen aus Kindheit und einer bewegten Biografie zu stellen. Immer mit einem Joker-Zug versehen.

„(gehe in einen sweatshop = schweiszgeschäft)“

„unwort des jahres : vollkoller!“

Noch ein bereichernder Band in Friederike Mayröckers langer Bibliothek. „in meinen träumen bin ich high“, das gilt absolut für dieses neueste Buch. Positiv-neugierig, trotz aller Kakophonie-Virtuosen da draußen auf der Weltbühne.

 

Jonis Hartmann

 

Friederike Mayröcker: als ich morgens..., Suhrkamp 2020