25. Juli 2020

Fassade

 

Eine bemerkenswerte Publikation ist die einfach Wohnungsbau betitelte Monografie zu Diener & Diener Architekten, einem profilierten Schweizer Büro, das seit Jahrzehnten und in zweiter Generation einen Weg der „Konstanz“ sucht. Das Erhellende am vorliegenden Band des Herausgeber-Trios Steinmann, Marchand und Aviolat, der sich auf die, so Roger Diener: „spannendste Bauaufgabe“ Wohnungsbau bezieht, ist nicht die Bautenvorstellung allein, sondern das Interviewzusammenspiel mit Roger Diener, der hier bewusst oder unbewusst anspricht, was nachfolgend Fragen aufwirft.

Nach der Gründung 1942 baute Dieners Vater Marcus Diener zunächst mehrere Tausend Wohnungen, an denen die Geschichte dieser komplexen Bauaufgabe sukzessive abgelesen werden kann, was der Band mit einem rückblickenden Essay zunächst tut. In der Übernahme durch Sohn Roger wandelt sich zumindest in den 80ern die Haltung des Büros zu beinahe verspielten Gebäudetypen, die zwar nach wie vor als voluminöse, Le Corbusier würde sagen: „schwere“ Massenkubaturen ohne Auskragung vor Ort stehen, aber zumindest mit komplexeren Fenstern, ihren Augen, eine Form Charakter ausstrahlen.

Im Interview erläutert Roger Diener die im Verlauf der Bürohistorie gewandelten Entwürfe hin zu Bauten „ohne erkennbare Rhetorik“. Das ist die exakt richtige Umschreibung für (fast) alles, was seit den 90ern folgte, mit einem zunehmenden Unterton Richtung Abhängigkeit von Entwicklervorgaben etc., das quasi „baugesetzliche Kompositionen“ aus hierarchiearmen Maßstabssprengern von Antwerpen bis Zürich, Basel bis Lyon in den Tätigkeitsfokus rückt. Dies gilt in jedem Fall für die Fassaden, die bis auf wenige Ausnahmen, den Klinkerbauten nämlich, speziell in Holland, dem Irrtum verfallen, durch Gleichmacherei sich anzubiedern.

Roger Diener schreibt, dass seine Gebäude auf der „Suche nach objektiven Werten“ seien, dass sie „keine Geschichten erzählen“, dass sie Freiheiten ihren Bewohnern/Nutzern lassen wollen. Das ist in Bezug auf Grundrisse sicherlich richtig. Auch wenn sich die Frage stellt, warum man davon ausgeht, dass BewohnerInnen sonderlich daran interessiert seien, ihre Wohnkonfiguration mit Esstisch, Coucheinheit etc. andauernd tiefgreifend verändern zu wollen? Sogenannte Flexibilität von Grundrissen erzeugt nicht automatisch mündige NutzerInnen, und anders herum, als mündige NutzerInnen dürften sich eigentlich diejenigen erweisen, die ihre möglicherweise „starre“ Wohnungsgeometrie selbst aufbrechen und auf Lösungen kommen, die „so gar nicht vorgesehen waren“.

Doch zurück zu Diener & Dieners Grundrissen, die in der Tat vorzüglich sind. Nicht, weil sie „flexibel“ sind, sie sind einfach gut im Absoluten gesehen. Einleuchtend, sparsam, nicht selten sophisticated und ohne Spiel in starker Rasterung gefertigt. Der Band zeigt klare Pläne, die selbstbewusst ihrem No-Nonsense der Raumaufteilung verpflichtet sind.

Dasselbe Planungsargument aber, jene Augen vermeidende, blinde Aufrasterung, wird von Diener & Diener bedenkenlos auch in die Fassade getragen, anbiedernd, wie bereits gesagt und im Interview folgendermaßen gerechtfertigt: Es ginge um das Erzeugen „von Selbstverständlichkeit eines Gebäudes im Stadtbild“. Dies ist allerdings schwierig. Denn die Verabsolutierung eines sogenannten Stadtbilds ist ebenso heikel, wie sie ephemer ist, und seit Anbeginn Baukultur mitnichten eine ästhetische Konsequenz, sondern eine wirtschaftliche. Dass jemand die fatale Gesichtslosigkeit der zwangsoperierenden Erneuerungsmaschine im Städtebau(un)wesen nicht thematisiert, ist im Hinblick des eigenen vorgestellten Bauprogramms nicht verwunderlich. Denn nicht alle, aber die Mehrheit von Diener & Dieners Wohnungsbauten sind effektive, eiskalte Tresore, die den sogenannten Investorenmarkt bedienen, mitverantwortlich für weiter voranschreitende „Unwirtlichkeit unserer Städte“ (A. Mitscherlichs Buch aus den 60er Jahren!), die sich, obwohl von aufgeweckten Büros wie Lacaton Vassal u. a. systematisch versucht zu bekämpfen (Bordeaux und andere Projekte), vor allem deshalb lukrativ wie eh und je gebärdet, weil sich Architekten und Büros ihre ästhetische Verantwortung selbst absprechen und ihre an sich vorhandene Kompetenz abkaufen lassen im Dienst einer nicht-mündigen Auffassung ihrer Rolle.

Dies lässt sich an der Projektstrecke in Wohnungsbau von Diener & Diener Architekten exemplarisch ablesen. Es ist zu wünschen, dass mindestens die Behandlung der Fassade als eine Nicht-Lochmaschine, sondern als eine Form von Einladung wieder in den Fokus rückt, sich die sogenannte „Selbstverständlichkeit“ einer Architektur nicht länger auf ein Rechts und Links verlässt, sondern den in sich selbst ruhenden Charakter annimmt, begreift und sinnlich kommunizierend nach außen führt. Auch keine Geste ist eine Geste.

 

Jonis Hartmann

 

Steinmann, Marchand, Aviolat [Hg.]: Diener & Diener Architekten. Wohnungsbau, Park Books, Zürich 2019