Jein
Heute gelesen, heute geschrieben. „Jein“ wird ein Hit, Schullektüre und fester Bestandteil von Aufklärungsbroschüren in allen deutschen öffentlichen Institutionen, die mit unserer deutschen Stieseligkeit zu kämpfen haben. Außerdem wird dieser Comic verfilmt und bekommt „The Square“ in der geschnittenen Kurzversion, da Lola Arias erfolgreich klagte, als Vorprogramm.
Ich möchte dem virtuos einfachen und damit Direktheit vermittelnden gezeichneten und kolorierten Comic einige philosophische Gedanken, also nicht soziologisch, wie der Comic es in einer Art Feldforschung mit persönlicher Bindung macht, hinzufügen.
Wenn das Subjekt (Ela) mit der Welt bricht, entsteht zwischen den beiden Membranen ein Gemisch aus Wasser und Luft und bildet Schäume, kurzzeitig vernetzte ALS-OB-jekte. Und ist Kunst nicht immer von dieser ALS-OB-Welt? Ausgenommen Claude Lorrain und die englische Gartenbaukunst, die Watteaufalte und Disney-Epoct der 1960er Jahre. Die Gleichzeitigkeiten der Lebenswirklichkeiten kreuzen sich in Ela und schreien nach Er-Lösung, denn sie hat Angst, zwischen diesen aufgerieben zu werden. Da Kunst das Versprechen, Widersprüche und Gegensätze, wenn schon nicht zu lösen, so doch wenigstens darstellen zu können, birgt und das möglichst formschön, da Schönheit Wahrheit ist, ist Ela als Künstlerin eine glaubhafte Protagonistin. Das Versprechen der Kunst ist auch immer ein Heilsversprechen. Verspricht das Kunstwerk, dass man von diesem, und damit auch vom Inhalt etc. pp., Abstandnehmen nehmen kann. Nachdem man es handwerklich begriffen hat. Da Ela bildende und freischaffende Künstlerin ist, ihr Leben aber als Comic erzählt wird, geht das Kunstversprechen ein Stück weit auf den Comic über. Natürlich sind das alles Mittelklasseprobleme. Jene Klasse, die sich so gern freiwillig anpasst und unterwirft und deshalb die freie Kunst feiert, denn auf diesem Feld ist erfolgreiche Anpassung durch Widerstand und Regelverletzung möglich. Natürlich unter dem Gütesiegel der Originalität und Authentizität. Alles in der ALS-OB-Welt, die sich wiederum mit der realen Identitätszuschreibung von Ela als Deutsche mit türkischen Wurzel bricht. Nur haben Menschen keine Wurzeln (s. gezeichneten Bildkommentar). Und solange das alles noch so kompliziert ist, gilt der alte Emigholz-Spruch: Ein Körper, der nicht weiß, was er will, stört den Vertrag der Körper.
Christoph Bannat
Büke Schwarz: Jein
Klappenbroschur mit Hochprägung
19 x 27 cm, 232 Seiten in S/W
Kapitelintros in Farbe, 24 Euro