22. Dezember 2019

Krieg

Wagenbreth Ausstellungsansicht, Transit-Zonen
ATAK-Illustration, Der naive Krieg
Dauerausstellung, Waffenproduktion in Spandau, Stadtmuseum Spandau
Sonderausstellung, Spandauer Glocke mit Hakenkreuz
Ausstellungsansicht, Der naive Krieg
Detail, Der naive Krieg. Collagierte Soldatenköpfe
Wagenbreth, Katalogseite (Wagenbreth Schriftmusterseite, 2000, Fritz Erler, 1917)
Wagenbreth, Katalogseite (Wagenbreth, Cry for help, scam e-mails from africa, 2006, Briefmarken der Reichspostverwaltung 1900–1909)
Wagenbreth, Katalogseite, (Pietro Antonio Martini, Salon du Louvre, 1785, Wagenbreth, Illustration Plant, 2013)

 

Georg Barber und Henning Wagenbreth gehören zu Deutschlands vielseitigsten Grafikern. Wie kaum andere bewegen sie sich souverän zwischen Comic, Illustration und freier Kunst. Souverän entstehen die Arbeiten aus einer selbstbewussten Mitte heraus. Jetzt haben sie sich auch als Kuratoren bewährt.

Henning Wagenbreth stellt mit „Transit-Zonen“, einer Retrospektive im Kupferstichkabinett, seine Arbeiten in größere, bis ins 17. Jahrhundert reichende historische und inhaltliche Zusammenhänge.

Auch Atak alias Georg Barber stellt seine Arbeiten in neue Bezüge. Dabei ist seine naive Kriegsbegeisterung, die ihn als Kind antrieb, komplexe Kampfgeschehen im Panoramaformaten zu entwerfen, Ausgangspunkt für eine Sammlung. Damit ging er der Ursprungskraft seines naiven Schaffens nach. Er fragt sich, warum Kinder heute noch so gern Krieg spielen. Die Sammlung, die er in zwei Jahren ersteigert hat, besteht aus naiv-handwerklichen, oft anonymen Äußerungen in Form von selbst gemachten Kriegsspielzeug, Kriegsmalerei, Schnitzereien, Bildberichten, Feldpostkarten und Kinderzeichnungen. Aufgestockt mit Künstlern wie Moritz Götze (*1964), Helge Reumann (*1966), Clemens von Wedemeyer (*1974), Heino Jäger (*1938), Josef Wittlich (*1903) und Tal R., die Krieg heute künstlerisch beschäftigt.

Mit diesen Ausstellungen schaffen sich beide Referenzrahmen für ihre eigenen Arbeiten. Was sie so aufschlussreich und lebendig machen, dass man sich ihre Herangehensweise als ständige Einrichtung wünscht, dass Wagenbreth noch weitere staatliche Archive in seinem Sinne ordnet und Atak ins DHM weiterzieht. Beiden gebührt mehr Beachtung. Atak ist meines Erachtens stärker im Künstlerischen, Wagenbreth stärker im Ikonografischen. Ataks feine Farbintelligenz reicht weit ins Feld der freien Kunst hinein. Auch Wagenbreths dialektische Haltung ist bewundernswert und vorbildlich. Beide, Atak 1967 und Wagenbreth 1962 geboren, erlebten ihre Sozialisation in Ostdeutschland, die sie selbstbewusst lehrte sich direkt, ohne unnötig verschlüsselte oder verschnörkelte Verweis- und Zitatenmeierei zu äußern. „Erzählen, wie es ist“ und das in neue Beziehungen setzen, könnte ihre Devise lauten. Das ist ihnen mit diesen Ausstellungen gelungen.

Wenn Kinder Krieg spielen, spielen sie Schicksal und Unterwerfung. Ihre Körper werden eine Zuspitzung, das Leben ein einzigen Ernstfall. Sie trainieren unterschiedliche Rollen und Machtverhältnisse, sie spielen erwachsen. Ihnen gehören ganze Kompanien. Wenn sie den Erstfall spielen, herrschen sie über Leben und Tod und bilden eine imaginäre Schicksalsgemeinschaft.

Ich hatte lange nachgebohrt, wo mein Vater, Jahrgang 1928, sich am Kriegsende befand, und verstand seine sprachlos wütenden Tränen nicht. Bis ich begriff, dass diese seine Orientierungslosigkeit spiegelten. Er sich also (traumatisiert) wieder im sprach- und orientierungslosen Nirgendwo befand. Bis zum Marschbefehl, zurück an den dänische Weststrand, wusste er gar nicht, wo genau in Deutschland er sich befand. Zurück am Weststrand musste er dann, auf dem Boden liegend, mit den Händen jene Minen auszugraben, die er zuvor, unter den Nazis, hatten eingraben müssen. Die Überreste der dabei explodierten Körper, wurden von den Überlebenden zusammentragen und in einer Schuhkarton großen Box gesammelt. Mit welchen Kriegsgeschichten werden Kinder heute groß?

Bei Wagenbreth geht es weniger um persönliche Beziehungen, sondern eher um die Fragen von Welt- und Gesellschaftszusammenhängen, die nicht weniger kriegerisch, aber immer schön (täuschend) bunt aussehen.

Beide Ausstellungen waren 2019 echte, zu wenig beachtete Höhepunkte.

 

Christoph Bannat

 

Der naive Krieg | Kunst. Trauma. Propaganda.

23.08.2019 – 05.01.2020

in die Zitadelle Spandau,

Am Juliusturm 64, 13599 Berlin

 

Transit-Zonen: Henning Wagenbreth in der Kunstbibliothek

17.04.2019 bis 28.07.2019

Kunstbibliothek

“KÄMPFERISCHES CHRISTENTUM UND VÖLKISCHE GESINNUNG”

SPANDAUER KIRCHEN IM NATIONALSOZIALISMUS

27.9.2019 – 9.2.2020

Bastion Kronprinz- Zitadelle Spandau

STADTGESCHICHTLICHES MUSEUM

in der Zitadelle Spandau im Untergeschoss

zur Ausstellung „Der naive Krieg“