13. November 2019

The Wild Boys


 
THE WILD BOYS des französischen Filmemachers Bertrand Mandico, der zuvor experimentelle Kurzfilme gedreht hat, ist eine fieberhafte albtraumschwangere Reise über Meere hinweg, hin zu einer Insel der Lüste, mit verbotenen Früchten, die dazu herangereift sind, fünf Jungs, die sich des brutalen Mordes an ihrer Lehrerin schuldig gemacht haben, zu verwandeln, sie in neue Wesen zu transformieren; aus Männern sollen Frauen werden, um so, dies der Traum des Kapitäns und einer Frau, die sich bereits auf der Insel befindet, die Welt zu entgewaltätigen, sie zu feminisieren, sie zu einem besseren Ort weiblicher Sanftmut zu machen.
Als würde man einem Jules Verne auf LSD über die Schultern schauen, einem Joseph Conrad auf Meskalin, offenbart uns Mandico eine schwarzweißsatte Reise durch ein queeres Universum, in dem seine Vorbilder, so Fassbinders QUERELLE, zu bestaunen sind, allerdings ohne sich von diesen Vätern bedrängen oder unterjochen zu lassen, sondern als Partner in dem Versuch, die Welt filmisch zu zerträumen.
Alles erscheint neu und vertraut zugleich. Man spürt die Anwesenheit der Filmgeschichte, die der Literatur, der Film entstand sehr frei nach einem Roman von William S. Burroughs, er ist unterhaltsame Kunst und kunstvolle Unterhaltung, jedoch nie ein Film, der sich an die Realität verraten würde, vor allem an keine gegenwärtige, und dies, obwohl er durch und durch gegenwärtig ist, durch und durch aktuell, eine Aktualität, die uns mit Genderfragen konfrontiert, nie aber mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit den Mitteln des Märchenerzählers, der uns an sein Feuer aus Dämonie lockt, um zu berichten von fünf Jungs, die in die Weite geschickt wurden, um zu entdecken, was sie schon immer waren. Und stets lockt das Weib in uns.
THE WILD BOYS ist Hommage und Neuschöpfung zugleich, ein Film, der die Welt auf althergebrachte Weise neu vermisst, der uns davon träumen lässt, wer wir sind, wer wir sein können, davon, wer wir vielleicht dereinst sein werden: Zwischenwesen, halb Mann, halb Frau, die auf diese Weise die Schöpfung erst vollenden, die hinaustreten in die Lichtung des Selbst, um so zu liebenden Wesen zu werden, Wesen, die, diese Frage bleibt am Ende offen, eventuell aber doch keine perfekten Geschöpfe, wie erhofft, werden, sondern Ausgeburten ihrer Lüste und Begehrlichkeiten bleiben.
THE WILD BOYS ist Kino, ersonnen von einem somnambulen Nachtreisenden, einem H.G. Wells, dessen Insel des Dr. Moreau vom Krieg der Geschlechterwelten heimgesucht wird. Kino, das hinter den Lidern lange weiterflackert, wenn der eigentliche Film längst erloschen ist.

Guido Rohm



The Wild Boys, Frankreich 2017. Regie: Bertrand Mandico