Das Pinguin-Prinzip
Amelie von Wulffen verbindet wie keine andere bildende Künstlerin Comic, Malerei und Illustration gleichberechtigt miteinander.
Zu ihrer Athener Ausstellung erscheint Hedwigs Verrat, 4 Comics, auf Englisch. Die deutsche Fassung gab es als Beiheft im Mai dieses Jahres zu ihrer Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern. Seit ca. 2013 nutzt Amelie von Wulffen Comics, um von ihren Alltags- und Traumerlebnissen zu erzählen. Dabei helfen ihr Anthropomorphismen, übertragen auf unsere Alltagsding- und Tierwelt. Einmal mehr bietet der Comic hier Möglichkeiten, ohne den Anspruch, hohe Literatur sein zu müssen. Ebenso wie die Zeichnungen nicht zwangsläufig gleich als Kunst gewertet werden müssen. Und er kann jeder Zeit und selbstbestimmt veröffentlicht werden. Dabei gehört Amelie von Wulffen keiner Comicszene an, was wohl an ihrer Geste, die einer genialen Dilettantin, liegt, bei der alles, jeder Strich und jedes Wort, beim ersten Mal am richtigen Platz sitzt, während Comickünstler sich mit Outlines, Setting, Lettering u. a. herumschlagen. Aber genau das könnte für die Comicszene interessant sein. Wenn Amelie von Wulffen ihre Comics, wie in ihrem retrospektiven Katalog Bilder 1998–2016, gleichberechtigt neben ihren Bildern auftreten lässt, ist das ein Statement. Mir fällt keine Malerin (und kein Comickünstler) ein, die diese Möglichkeiten so konsequent nutzt. Dabei mischt sie die Genres nicht, wie viele andere, sondern hält sie getrennt. Comics sind Comics und Malerei ist Malerei, was beide stärker macht. Im Katalogform verkettet sie das ungleiche Geschwisterpaar untrennbar miteinander. Wenn sie sinngemäß sagt, dass es in ihrer Familie schon zu viele Schriftsteller, die Worte besetzt hielten, gab und ihr nur noch die Bilder übrig blieben, kann der Comic auch als ihre persönliche Rückgewinnung der Worte verstanden werden. Was mehr Gewicht bekommt, wenn man bedenkt, dass für Amelie von Wulffen Familiengeschichte(n) eine wesentliche Rolle bei ihren Bildfindungen spielen. Gleichzeitig hilft das Pinguin-Prinzip den schützenden Schirm der Fantasie gegen den Authentizitätszwang (dem A neben dem O moderner Kunst) zu richten. Das Prinzip lautet: Ein nackter Mann, Zeitung lesend auf der Toilette, ist banal, ein Pinguin hingegen witzig. Tiere (hier geht es auch um Artenvielfalt) sind auch hier einmal mehr Träger von Sprachbildern neben ihrer Tätigkeit als Vermittler zwischen Erde, Himmel und Wasser. Hedwigs Verrat handelt von Mitleid und enttäuschter Dankbarkeit. In „Flaumi entwickelt sich prächtig“ kontrastieren eitle Rauten mit der (Todes-)Angst einer Alltagsfliege, was als Selbstbespiegelung vs. Tagesthemenleid gelesen werden kann. „Am kühlen Tisch“, von 2014, ist explizit gesellschaftsbezogen. Denn wer mit Francisco de Goya, selbst wenn es nur fantasierte Traumpfade sind, wandelt, kann kunstgesellschaftlichen Fragen kaum entgehen. Amelie von Wulffens Arbeiten gelten gemeinhin als selbstreferenziell, Authentizität und Originalität, und erfüllen so das A und O der Moderne. Ihr kunstvolles Verrätseln, Maskieren, Verkleiden, Übermalen und Erweitern über Möbel und Wände hinweg zeigt, wie ein Subjekt in der Brandung von Welt Schaum schlägt und Metaphern entstehen lässt. Auch in diesem Sinne ist Amelie von Wulffen eine wichtige zeitgenössische Künstlerin. Am Beispiel ihres handbemalten Bauernschranks, wie ihre Großmutter einen hatte, mit aufgemaltem Netflix-Index wird das deutlich. Hier stellt sich die Frage: Wo bin ich zu Hause? Dort, wo mein Schrank oder mein Laptop steht und ich jederzeit weiter bingschen kann? (Oder dort, wo ich einen solchen Schrank übermalen kann?) Hier kreuzen sich das A und O mit H und T, Authentizität und Originalität mit Handwerk und Tradition. Eine Gedankendrehung weiter heißt das: Wir sind weder in der Tradition noch im Handwerk zu Hause. Gepaart mit der Frage, was wir denn dann (an nächste Generationen) vererben, denn weder A noch O kann man weitergeben. Neben ihrem Hedwig-Comics wird auch dieser Bauernschrank in der kleinen Athener Ausstellung zu sehen sein. Ihr Werk ist voll von solchen Sinnbildern, die sie aus der Tiefe ihrer persönlichen Geschichte ins Ausstellungslicht holt. Mir gefällt diese Form der lustvollen Verrätselung mit persönlicher Bindung, die mehr bedacht und genossen als gelöst werden will.
Christoph Bannat
Ausstellung:
Amelie von Wulffen, Hedwig´s Betrayl, Paintings, Comics and a Cupboard (Solo), Radio Athenes, Athens, Greece, 2019.
Comics:
Amelie von Wulffen, Hedwigs Verrat, 4 Comics, Kunsthalle Bern 2019.
Amelie von Wulffen, Am kühlen Tisch, Portikus, Kunstverein München, Koenig Books.
Katalog:
Amelie von Wulffen, Bilder 1998–2016, Pinakothek der Moderne, Studio Voltaire, Koenig Books